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Russisches Requiem

Russisches Requiem

Titel: Russisches Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ryan
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Amerikaner war kein schlechter Kerl. Optimistisch, selbstbewusst, freundlich - eine frische, saubere Erscheinung im grauen Moskauer Herbst. Ob New York genauso war wie Schwartz? Imposant, ein wenig forsch? Vielleicht war es dort doch nicht ganz so schlimm, wie es immer hieß. Und in Russland stand es schließlich auch nicht gerade zum Besten - die Hungersnot auf dem Land konnten sie nicht geheim halten, auch wenn sie es mit allen Mitteln versuchten. Ach was, sogar in Moskau hungerten die Menschen. Jeden Tag sammelten die Uniformierten Tote von den Straßen.
    Er schaute auf die Uhr. Es war zehn nach fünf, und bis zum Büro brauchte er zu Fuß zehn Minuten. Wenn er Glück hatte, erwischte er Semjonow noch. Als er sich umwandte, um den Weg zur Petrowka-Straße einzuschlagen, fiel ihm ein Gesicht auf, das er aus dem Foyer des Metropol wiedererkannte; ein vierschrötiger junger Bursche mit kurzem braunem Haar, käsiger Haut und struppigem Schnauzer. Er schien sich sehr für eine vorbeitrottende Gruppe von Pionieren zu interessieren, deren rote Halstücher aus den Wintermänteln lugten. Koroljow ließ den Blick einfach über den Mann hinweggleiten. Falls es sich um einen Beschatter handelte, wollte er ihm nicht zeigen, dass er ihn entdeckt hatte.
    Es hätte ihn gar nicht überrascht, wenn man sie überwacht hätte. Angesichts von Schwartz' Tätigkeit in Moskau war damit zu rechnen, dass man ihn ihm Auge behielt, und das schloss natürlich auch jeden ein, mit dem der Antiquitätenhändler sprach. In ungezwungener Manier schaute sich Koroljow auf dem Platz um, bemerkte aber sonst niemanden. Andererseits, wenn sie vom NKWD kamen, waren es mindestens drei oder vier Verfolger, die auch etwas von Observierung verstanden. Schließlich holte er tief Luft. Entweder wurde er beschattet oder nicht. So oder so hatte es wenig Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
    Als er jedoch fünf Minuten später eine junge Frau ertappte, die ihn in einem Torgsin-Schaufenster beobachtete, verfluchte er den Tag, an dem ihn Popow auf diesen haarigen Fall angesetzt hatte. Die Untersuchung entwickelte allmählich eine fatale Eigendynamik, und das Dumme war, dass er nicht wusste, wohin die Reise ging.
     

12
    Als Koroljow Zimmer 2F betrat, erhob sich Semjonow mit aufgeregtem Grinsen.
    Ein Hauch von Begeisterung streifte Koroljow. Er legte die Mütze auf den Schreibtisch und setzte sich. »Nun?«
    »Also ...« Semjonow stockte, wie um sich zu beruhigen. »Das Auto kann ich Ihnen zwar nicht liefern, Alexei Dimitrijewitsch, aber ich glaube, ich kann Ihnen die Marke sagen.«
    »Fahren Sie fort.« Koroljow schälte sich aus seinem Mantel und hängte ihn über die Rückenlehne.
    »Zumindest habe ich so eine Ahnung. Ich bin nochmal raus zum Stadion gefahren. Jedes Automobil hat einen eigenen Wendekreis, verstehen Sie. Da hab ich mir gedacht, ich kann doch mal nachmessen, vielleicht ergibt sich ja was. Nun, der neue ZIS 101 zum Beispiel hat einen Wendekreis von 7,7 Metern, während er bei einem Emka nur 6,35 Meter beträgt. Bei dem Modell T, das wir benutzt haben, ist er noch kleiner. Jedenfalls habe ich die Reifenspuren gemessen, in der Annahme, dass sie so knapp wie nur möglich gewendet haben. Davon können wir ausgehen, weil die Abdrücke bis einen halben Meter vor die Stadionmauer führten, Sie erinnern sich vielleicht noch. Und der Wagen hatte einen Wenderadius von ungefähr 6,45 Metern.«
    »Also kaum größer als bei einem Emka?«
    Lächelnd hielt Semjonow Zeigefinger und Daumen auseinander. »Zehn Zentimeter, wirklich nicht viel. Der ZIS 101 scheidet damit auf jeden Fall aus. Aber das Beste wissen Sie noch nicht. Ich habe den Nachtwächter getroffen, und er hat mir erzählt, dass nach Mitternacht ein neuer schwarzer Wagen mit metallisch glänzendem Kühlergrill an seiner Bude vorbeigefahren ist. Er kam von der
hinteren
Seite des Stadions. Der Emka hat eine Kühlerblende aus Chrom, und es werden nicht viele neue Wagen importiert.«
    »Der Nachtwächter ist wohl nicht hinausgetreten, um genauer hinzuschauen?«
    Semjonow schüttelte den Kopf. »Er hat zwei Männer in einer Schwarzen Krähe gesehen und sich gedacht, Staatssicherheit, da halte ich mich lieber raus. Er ist ungefähr hundertfünf.«
    »Hat er sonst noch was erzählt?«
    »Er wollte, dass ich seinen Nachbarn wegen Währungsspekulation überprüfe.« Semjonow zuckte die Achseln. Denunziationen dieser Art waren ganz normal. Jetzt, da alle der gleichen Klasse angehörten, schien es keine

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