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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Städte. Alexander bewunderte Tatjana. Sein Vater hatte am Abhang oberhalb von Sumpfloch ein bescheidenes Holzhaus errichtet, es jedoch nie bewohnt. Tatjana hatte es vollständig in Ordnung gebracht. Sie beaufsichtigte die Ländereien. Den Kindern ging es gut. »Langweilst du dich denn nicht schrecklich?« fragte Alexander häufig.
    »Überhaupt nicht«, war jedesmal ihre Antwort. »Ich finde, daß ich gut aufs Land passe.«
    Wie gut sie aufs Land paßte, begriff Alexander erst allmählich. »Ich habe das Petersburger Haus verkauft«, berichtete sie am Anfang des ersten Jahres. Zwei Monate später hieß es dann: »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, Aljoscha, daß ich den Verwalter entlassen habe.«
    Ein Jahr darauf hieß es nach einer guten Ernte: »Ich baue zwei kleine Flügel an das Haus an. Sie werden dir sicher gefallen.« Und als er eines Tages erklärte, nach seiner Entlassung werde er versuchen, einen Teil ihrer Schulden zurückzuzahlen, küßte sie ihn lächelnd und flüsterte: »Wir haben keine mehr, mein Liebling.«
    »Aber wieso? Wer hat uns das Geld gegeben?«
    »Niemand, Aljoscha. Der Besitz wirft viel ab, weißt du. Und unsere Ausgaben hier auf dem Land sind gering«, fügte sie mit spitzbübischem Lächeln hinzu.
    Nachdem sie gegangen war, seufzte er und murmelte: »Das Beste, was ich je für meine Familie getan habe, war tatsächlich, daß ich ins Gefängnis gegangen bin.« Diesem unbequemen Gedanken folgte sogleich ein zweiter: Was nütze ich meiner Familie überhaupt, wenn ich entlassen werde? Tatjana hat ja alles übernommen. Obwohl er seine Frau liebte und bewunderte, grübelte er oft darüber nach. Kurz vor dem Weihnachtsfest des Jahres 1795 hörte Alexander einen Schlitten im Klosterhof vorfahren; er wurde von seiner Zelle in die Besucherzelle gebracht, und bald darauf wurde eine Person im Pelzmantel hereingeführt.
    Es war Adelaide de Ronville. Sie hatte der Stadt Vladimir einen Besuch abgestattet. »Im Schlitten ist es nicht sehr weit nach Russka, weißt du?« erklärte sie mit leichtem Schulterzucken. Alexander lächelte. Es rührte ihn, daß sie diese Reise unternommen hatte.
    »Wie bist du hereingekommen? Hast du die Mönche bestochen?« Sie nickte.
    »Laß mich dich ansehen«, bat er und half ihr aus dem Mantel. Da stand sie. Sie war nun siebzig Jahre alt. Die Linien auf ihrem Gesicht bildeten ein verästeltes Netzwerk, doch als sie zu ihm aufsah, fand Alexander, daß sie nur betonten, was immer schon dagewesen war. Sie verzog spöttisch ihren Mund. »Ich werde alt. Heutzutage gibt es nicht mehr allzuviel Erfreuliches.«
    »Das sehe ich anders.«
    Sie unterhielten sich eine Weile. Er erkundigte sich nach der Gräfin und hörte, daß sie sehr gebrechlich, sonst aber unverändert sei. Ob sie ihm vergeben habe? »Natürlich nicht.« Er fragte Adelaide nach ihrem Leben. Hatte sie einen neuen Liebhaber? »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das ist nicht wichtig.« Sie sprachen leise, wie immer, bis ein Mönch kam und Adelaide bedeutete, daß sie nun gehen müsse.
    Stunden nach Adelaides Weggang zitterte Alexander noch immer. Er war selbst überrascht von seinen Emotionen. Nun verstand er ganz, daß er immer ein Gefangener dieser Verbindung bleiben würde, in der er der Leidenschaft so nahe gewesen war wie nie sonst in seinem Leben. Am letzten Tag des Jahres 1796, wenige Wochen nach dem Tod der Kaiserin Katharina der Großen von Rußland, wurde Alexander Bobrov nach nur vier Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen. Als eine seiner ersten Amtshandlungen hatte der neue Zar Paul eine Amnestie für fast alle Feinde seiner verhaßten Mutter erlassen. Alexander kehrte auf seinen nahe gelegenen Besitz zurück. Drei Monate später starb die Gräfin Turova. »Damit ging wahrhaftig eine Ära zu Ende«, hieß es allgemein. Sie hinterließ den größten Teil ihres Vermögens einem entfernten Vetter Alexanders, und ein Viertel erhielt Adelaide de Ronville, die bald darauf heiratete.

Das Duell
    1802
    Hoch im blauen Septemberhimmel schwebte eine blasse Sonne. Vereinzelt zogen weiße Wölkchen über die endlose Ebene. Sie kamen von Osten, überquerten die alte Grenzstadt Niznij Novgorod und schwebten nach Westen, in Richtung Moskau, hinweg über alte russische Städte – Rjazan, Murom, Suzdal und das prächtige Vladimir – oder über den schmalen, glitzernden Flußlauf, der sich seinen Weg durch den Wald bis hinunter zu dem Städtchen Russka und weiter zum nächsten Dorf bahnte.
    Zwei Bauern standen am

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