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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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deswegen schon bei Bobrov vorgesprochen, doch dieser schickte ihn jedesmal fort.
    So entwickelte sie ihren Plan, in Absprache mit Sawa. Zuerst war Alexander Bobrov verwundert über den Wunsch seiner Frau, Sawa und seinen Vater gegen Geld freizulassen. »Was bedeutet dir das?« wollte er wissen. Im Lauf der Wochen und Monate setzte sie ihm beharrlich zu: »Laß sie gehen, Alexander Prokofievitsch. Du sagst, du möchtest Geld beiseite legen. Verkaufe ihnen ihre Freiheit, und du wirst Gewinn damit machen!«
    Eine Woche zuvor hatte er ihr, um endlich Frieden zu haben, müde erklärt: »Nun gut. Wenn sie ihre Freiheit wollen, sollen sie mir fünfzehntausend Rubel bezahlen – und kein bißchen weniger.« Er rechnete damit, daß sie diese Summe nie würden aufbringen können.
    Tatjana lächelte nur. »Ich überrede Alexander Prokofievitsch, euch die Freiheit zu verkaufen, Sawa. Ich leihe dir das Geld, das euch fehlt. Ein Jahr nachdem ihr eure Freiheit bekommen habt, zahlt ihr mir das Doppelte von dem zurück, was ich euch geliehen habe. Einverstanden?« Er verneigte sich tief. »Also gut«, fuhr sie fort. »Überlaßt alles mir und sprecht zu niemandem darüber.« Obwohl die von Bobrov verlangte Summe für die Freiheit der Suvorins sehr hoch war, hatte Tatjana Vertrauen in den Jungen. Er würde eine Zeitlang brauchen, aber er würde das Geld schon zusammenbekommen. Sie hatte ihm bereits tausend Rubel geliehen. Heute, an diesem klaren Januarmorgen, war sie mit weiteren tausend nach Russka gekommen. »Nimm es mit nach Moskau und verwende es klug«, sagte sie.
    Sie wußte nicht, daß Sawa, der den Schlitten bestieg und sich nochmals verneigte, auch vor ihr ein Geheimnis hatte. Nun hatte er genügend Geld, um sich bereits Ende dieses Jahres freizukaufen. Das Duell zwischen Herrn und Knecht war nahezu beendet. Olga blickte ihren Mann liebevoll an. Sie hatten den Juni gemeinsam auf ihrem Besitz bei Smolensk verbracht, und es kam ihr so vor, als habe sie noch nie im Leben solches Glück erfahren. Ein Schimmer lag auf ihrer Haut, eine Weichheit, wenn sie ihm nahe kam, daß selbst die Leibeigenen auf dem Gut lächelten und meinten: »Das ist wahre Liebe!« Lachend reichte sie ihm Sergejs Brief:
    Meine liebe kleine Olga,
    ohne jeden Zweifel wirst du von Deinem Gatten auf die altmodische Art regelmäßig gezüchtigt; also berichte ich Dir zur Aufheiterung einige Neuigkeiten. Ich habe einen reizenden Freundeskreis gefunden. Wir treffen uns in den Archiven des Moskauer Außenministeriums und nennen uns »Liebhaber der Weisheit«. Wir lesen die großen deutschen Philosophen, vor allem Hegel und Schelling. Und wir diskutieren über den Sinn des Lebens und den Genius Rußlands. Weißt Du, daß das Universum sich im Stadium des Entstehens befindet? Jede Idee hat eine entgegengesetzte. Wenn sie sich verbinden, bringen sie eine neue, bessere Idee hervor, die wiederum ihr Gegenstück findet, und so fort, bis das ganze Universum auf diese wunderbare Weise sich der Vollkommenheit nähert. Mit unserer menschlichen Gesellschaft hier auf Erden ist es genau das gleiche. Wir alle entwickeln Ideen innerhalb der großen kosmischen Ordnung. Ist das nicht herrlich? Ich muß jetzt schließen. Meine Freunde und ich müssen unserer kosmischen Bestimmung gehorchen und einen trinken gehen. Dann werde ich mit einer gewissen Dame aus meinem Bekanntenkreis den Kosmos weiter erforschen. Ach, noch etwas Interessantes: Unser geschätzter Erziehungsminister hegt der Philosophie gegenüber einen derartigen Argwohn, daß in St. Petersburg für diese Disziplin kein Lehrstuhl eingerichtet ist. Ich habe von einem Mann gehört, der heimlich Philosophievorlesungen in der Abteilung für Botanik hält, ein anderer auf seinem Lehrstuhl für Agrikultur. Nur in unserem geliebten Rußland kann die Natur des Universums als eine Art von Agrikultur betrachtet werden!
    Es tut mir schrecklich leid, daß Dein Gatte ein solcher
Rohling ist. Schreibe mir unverzüglich, ob Du möchtest, daß
ich Dich befreie.
Dein Dich stets liebender Serjoscha.
    Ein besonders langer Sommer ging zu Ende, die Sonne gab schon herbstliches Licht. Der leichte Wagen klapperte auf der staubigen Straße dahin – gemächlich, denn der alte Suvorin war darauf bedacht, die zahlreichen Fahrrinnen und Schlaglöcher zu vermeiden. Warum auch hätte er sich beeilen sollen, wenn er Ilja Bobrov beförderte?
    Drei Tage zuvor waren sie in Rjazan aufgebrochen; morgen würden sie Russka erreichen. »Es hätte schon

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