Ruth
Hedak auf ihn sein wird, daß er dies erreicht hat.“
„Vielleicht tut er es.
Jedermann in Heschbon weiß, daß Hedak ängstlich bemüht ist, sich die Gunst der
edomitischen Stämme zu sichern. Und er wollte dich vor langer Zeit einmal
heiraten.“
„Ich werde versuchen, morgen
früh bei Akton Audienz zu erhalten“, sagte Ruth. „Hast du erfahren, wie lange
Hedak weg sein wird?“
„Mindestens eine Woche.“
„Dann werden wir genug Zeit
haben, Edom zu erreichen, bevor er zurückkommt und uns verfolgen kann.“ Sie
drückte Orpas Hand. „Es war gut von dir, daß du mir alles gesagt hast. Es wird
hoffentlich Noëmis Leben retten.“
„Dann haßt du mich nicht für
das, was ich getan habe?“
Ruth lächelte. „Machlon lehrte
mich, daß der Allerhöchste zu seinem Volk ,Ich will dich lieben und segnen’
gesagt hat. Wenn Gott uns lieben kann, so schwach wir sind, welches Recht hätte
ich dann, dich zu hassen, Orpa?“
9
Die Karawane, die wenige Tage
später am Morgen durch die Tore Heschbons zog, war klein. Ruth hatte gerade
noch genügend Gold besessen, um ein paar Maultiere zu kaufen. Ihren übrigen
Besitz konnte sie nicht gut veräußern, da sie sonst den Verdacht erweckt hätte,
daß die drei Frauen Heschbon für immer verlassen wollten, anstatt nur auf einer
kurzen Reise die edomitischen Stämme zu besuchen.
Noëmi ritt auf einem Maultier
direkt hinter dem stämmigen Sklaven, der die Karawane anführte, Orpa folgte,
und Ruth ritt fast am Ende, so daß sie die Nachzügler im Auge behalten konnte.
Nur ein paar Haussklaven begleiteten sie. Unter den Proviant, die
Wasserschläuche und Zelte auf den Rücken der Maultiere hatte sie viele Dinge
von möglichst großem Wert gepackt: Schwerter, Sicheln, Sensen und andere
Geräte. Sie wußte, diese konnten später zu einem guten Preis verkauft und von
dem Erlös Nahrung und Bekleidung eingehandelt werden.
Am Ausgang des Tales wurden sie
nicht belästigt, denn das Siegel des Kamosch auf der kleinen Tafel, die Akton
Ruth mitgegeben hatte, genügte, um sie durchzulassen. Nachdem sie den Paß
verlassen hatten, hielt Ruth einen Augenblick lang an und blickte zurück auf
das grüne Tal mit seinen Obstgärten, Feldern und Herden und der großen
glitzernden Stadt in der Ferne. Wehmut überfiel sie, da sie dies alles nun
verlassen mußte, denn ehe das Unglück über sie und die Ihren hereinbrach, war
sie hier sehr glücklich gewesen. Aber nun galt es, keine Zeit zu verlieren: ein
letzter Blick auf Heschbon und das Tal von Moab, dann lenkte sie ihre Blicke
nach Westen in Richtung des Flusses Jordan und der Straße, die nach Edom
führte.
Einige Tage später trat Ruth
aus dem Zelt, das sie mit Noëmi und Orpa während der Reise teilte. Sie hatten
die Wüste zur Hälfte durchquert und am Abend zuvor ihr Lager in einer kleinen
Oase, an der sich der Weg teilte, aufgeschlagen. Eine Abzweigung führte nach
Norden zu den östlichen Ufern des Sees Kinneret und der Stadt Sukkot, in deren
Nähe der Fluß Jabbok in den Jordan mündete. Der andere Weg führte weiter nach
Westen zur Zufluchtsstätte, da, wo der Jordan dem Meer zuströmt, das kein Leben
kennt.
Noëmi war während der ganzen
Reise aus Heschbon wie eine Statue auf dem Maultier gesessen und hatte nur
geredet, wenn man sie ansprach. Aber hin und wieder schien es Ruth, daß die
alte Frau den Weg wiedererkannte, auf dem sie und ihre Familie vor so langer
Zeit nach Moab gezogen waren. Und Ruth konnte sich nicht erinnern, daß Noëmis
Augen auch nur einmal so gestrahlt hätten wie jetzt — seit der Nacht, als
Machlon und Kiljon gestorben waren.
Ruths erste Handlung, nachdem
sie morgens ihr Zelt verlassen hatte, war ein Blick hinauf zum Himmel, denn das
Wetter spielte bei einer derartigen Reise eine sehr wichtige Rolle. Bis jetzt
hatte es keinen dieser plötzlich aufwirbelnden Sandstürme gegeben, die eine
Karawane in Sekundenschnelle ersticken und Menschen, Tiere und Lasten unter
sich begraben konnten. Aber auch an diesem Morgen war der Himmel klar und hell,
er hatte nicht jenes messing-farbene Aussehen, das meist einen stürmischen Tag
ankündigte.
Ruth blickte sich im Lager um.
Und was sie sah, erfüllte sie mit großem Schrecken.
Nur ein einziges Maultier war
noch an einer Palme in der Nähe der Quelle festgebunden, die übrigen waren
verschwunden — und mit ihnen der ganze Nahrungsmittel- und Wasservorrat und die
Sklaven. Übriggeblieben war ein kleiner Wasserschlauch. Von den Waren, die
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