Ruth
von Machlons Waffe
getroffen, zurückwich, schrie Nebo wütend: „Tötet sie, oder sterbt selbst!“
Aber auch der sonst so ruhige
Kiljon war von dem leidenschaftlichen Zorn seines Bruders erfaßt. Auf dem
schmalen Flur konnte keiner der Eindringlinge sein Können einsetzen, und so
waren die ungeübten Schläge der Brüder beinahe ebenso wirkungsvoll wie die
Schwerthiebe der Soldaten.
Nebo zog seinen Dolch, eine
lange schmale Klinge mit schwerem Griff. Er hielt ihn an der Spitze und zielte
auf Kiljons Brust.
Die Gelegenheit, auf die Nebo
wartete, kam eine Sekunde später, als einer der Soldaten nach einem schnellen
Hieb in Abwehr zur Seite sprang. Die Klinge sauste durch die Luft, Kiljons
Schwert fiel klirrend zu Boden, und im Todeskampf sank der jüngere Bruder zu
Machlons Füßen.
„Kiljon!“ rief Machlon. Alles
andere vergessend, ließ er sein Schwert sinken und kniete nieder, um den toten
Bruder in die Arme nehmen zu können.
Triumphierend schrie Nebo den
Wachen einen Befehl zu, und die Moabiter sprangen über die Brüder hinweg ins
Innere des Hauses. Nebo blieb nur so lange stehen, um Machlons Schwert zu
ergreifen und es in die Brust des Mannes zu stoßen, dessen geschickte Hände es
geschmiedet hatten.
Als sich Lärm und Geschrei in
der Stadt gelegt hatten, wagte Ruth sich aus ihrem Versteck. Rasch eilte sie
durch die wieder leer gewordenen Gassen heim.
Als sie durch den Hof auf das
Haus lief, schrie sie vor Entsetzen auf. Unter der offenen Tür sah sie Noëmi
und Orpa über zwei am Boden liegende Gestalten gebeugt, und noch bevor sie bei
ihnen angelangt war, wußte sie, daß es Machlon und Kiljon waren. Ihre
schrecklichsten Ängste waren Wirklichkeit geworden.
7
Die zehn Tage, die das kleine
Kontingent israelitischer Soldaten an der Zufluchtsstätte auf Boas’ Rückkehr
warten sollte, waren beinahe verflossen. Eliabs Gesicht war im Verlauf der Tage
immer düsterer und bedrückter geworden. Da Boas beinahe mit Sicherheit tot war
und Ram und Joseph wahrscheinlich auch, lag nun die schwere Verantwortung der
Verteidigung eines schwachen Israel gegen den Angriff, der unausweichlich
schien, auf seinen Schultern.
Am Nachmittag ritt ein
hochgewachsener Israelit in staubbedeckter Kleidung in das Lager und wurde
sofort zum Zelt Eliabs gebracht. Der Hauptmann begrüßte ihn herzlich.
„Was hast du erfahren, Abiram?“
fragte er. Der Neuankömmling war ein Mitglied der nördlichen Stämme, die an der
Grenze zu Moab lebten. In der Vergangenheit war es ihm mehrfach gelungen,
wertvolle Informationen von den moabitischen Familien zu erhalten, mit denen
der Stamm gelegentlich handelte.
„Boas ist unversehrt in
Heschbon eingetroffen“, sagte Abiram. „Ich sprach mit einem Mann, der ihn dort gesehen
hat.“
„Und danach?“
„Es gab ein großes Fest zu
seinen Ehren.“
„Vielleicht wollte der König
wirklich Friedensgespräche führen?“
„Wenn das der Fall war, dann
führt er sie nicht mehr“, sagte Abiram heftig. „Noch am Abend nach dem Fest
starb der König durch Gift. Und Boas wird wegen des Verbrechens verdächtigt.“
„Boas trug kein Gift bei sich.
Und würde auch keinen Menschen töten, es sei denn im Kampf.“
Abiram nickte. „Wir alle wissen
das. Das Ganze muß so geplant worden sein, daß Zebuschar sterben und man Boas
dafür die Schuld zuschreiben sollte.“
„Hast du erfahren, was mit ihm
geschehen ist?“ fragte Eliab besorgt.
„Nein. Aber es ist kaum
anzunehmen, daß selbst ein Mann wie Boas bei einem so teuflisch ausgeheckten
und offenbar genau vorbereiteten Plan entkommen könnte.“
Eliab nickte bekümmert. „Juda
wird um einen großen Führer trauern“, sagte er. „Wir werden heute nacht noch
hier schlafen und morgen losreiten, um dem Volk zu erklären, daß wir uns auf
einen Krieg vorbereiten müssen.“
„Sollten wir nicht sofort
aufbrechen?“ fragte Abiram. „Wer kann sagen, wann Hedak zuschlagen wird?“
„Boas hat mir befohlen, zehn
Tage lang hier zu bleiben“, sagte Eliab fest. „Und hier bleibe ich, bis die
Zeit verstrichen ist. Komm, Abiram, du mußt hungrig sein. Wir werden essen und
darüber sprechen, was wir tun müssen, um Israel angesichts der Gefahr
wachzurütteln.“
Das Lager schlief, aber Abiram
und Eliab unterhielten sich noch am Feuer und suchten vergeblich nach einer
Antwort, wie man die Gefühle des Volkes entflammen könnte, so daß dem Rat
nichts anderes übrigbliebe, als den jungen Männern Waffen zu geben und
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