Rywig 11 - Sonnige Tage mit Katrin
was schafft.“ Beate lächelte.
„Ich habe kein Rezept. Ich glaube, es lag alles daran, daß ich selbst glücklich war. Vielleicht war das ansteckend.“
„Ganz so einfach, wie Sie es sagen, war es nun bestimmt nicht“, meinte ich. „Ich wünschte, Sie könnten mir genau sagen, wie man sich einem Menschen gegenüber verhält, der an sich sehr nett ist, und munter und. ja was soll ich sagen, oberflächlich aufgeschlossen ist, aber der nie ein Sterbenswort über seine Probleme, seine Schwierigkeiten, seine Freuden - überhaupt über seine Gefühle sagt.“
„Wenn Sie ein solches Problem haben, gibt es nur eins. Sie müssen eben versuchen, den Grund herauszufinden. Was hat ihn so gemacht? Ich weiß ja nichts über diesen Mann - ja, denn Sie sprechen ja von einem Mann? Ich weiß nicht was ihn, vielleicht schon in der Kindheit, gequält oder ihm Schwierigkeiten bereitet hat. Ob er überhaupt die Gelegenheit gehabt hat, mit anderen Menschen über sich zu reden. Ich weiß nicht, ob er ein glücklicher Mensch ist.“ „Ich auch nicht“, gab ich zu. „Aber ich möchte Ihnen furchtbar gern alles über ihn erzählen, wenn Sie die Geduld haben. Ich weiß, daß Sie anderen Menschen so enorm geholfen haben.“
„Enorm geholfen“, wiederholte Frau Rywig. „Wenn die lieben Kinder es so dargestellt haben, sehen sie alles sehr einseitig. Gut, ich habe ihnen geholfen, aber warum? Weil sie mir das wunderbare Gefühl gaben, daß ich gebraucht wurde! Ja, sie brauchten mich alle, das machte mich glücklich, und von meinem eigenen Glück heraus konnte ich helfen.“
„Man wird also glücklich, wenn man gebraucht wird?“ sagte ich. „Und ob! Wissen Sie, ich war immer ein glücklicher Mensch. In meinem Elternhaus wurde ich gebraucht, das können Sie sich denken, ich, als die älteste von acht Geschwistern. Wenn ich für meine Mutter einspringen mußte, dann fühlte ich, wie mein Vater und die Geschwister mich brauchten, und ein schöneres Gefühl gibt es wohl nicht! Dann kam ich zu der Familie, die also jetzt meine ist -zu einem Witwer mit vier Kindern. Die brauchten mich erst recht! Katrin, meine liebe, elternlose Katrin, kam als Haustochter zu uns, ach, wie dringend brauchte sie einen - einen - sagen wir Mutterersatz! Und wissen Sie was das Schöne ist, Allegra? Meine Stiefkinder, die jetzt erwachsen und längst verheiratet sind und selbst Kinder haben, die brauchen mich noch - das behaupten sie jedenfalls!“
„Und ob sie das tun!“ rief ich.
„Verstehen Sie, daß so was ein tiefes, wunderbares Glücksgefühl gibt? Daß mein Mann und die beiden Kleinen mich brauchen, das ist ja natürlich. Aber daß die Großen und Erwachsenen mich brauchen, ja, das empfinde ich als ein Gottesgeschenk!“ Ich überlegte einen Augenblick.
„Vielleicht fühle ich mich deswegen hier so wohl“, sagte ich. „Weil ich gebraucht werde.“
„Klar! Sie werden gebraucht, in der Praxis und hier zu Hause, nicht nur zum Schlangenentfernen aus Baby-Tragetaschen, sondern überhaupt! Und wie war es, bevor Sie herkamen? Da wurden Sie doch auch gebraucht! Bei der alten Dame, da waren Sie wohl so ziemlich unentbehrlich.“
„Auch vor der Zeit“, erzählte ich. „Als ich viele Monate meine Großmutter pflegte. Ja, Sie haben recht, Frau Rywig. Ich bin die ganze Zeit glücklich gewesen, denn ich wurde tatsächlich gebraucht.
Und wenn ich jetzt nicht so unbedingt glücklich bin.“ Ich unterbrach mich selbst. Ich wußte nicht so richtig weiter.
„Ja, das wollten Sie mir doch erzählen. Aber wissen Sie was, dann gehen wir jetzt ins Bett, ich möchte nicht allzu spät ins Bad gehen, vielleicht störe ich dann die beiden - ich meine, die drei Schlafenden da oben. Wir können doch weiterplaudern im Bett?“ Gesagt, getan. Eine Viertelstunde später lagen wir in unseren Betten, nachdem wir uns so geräuschlos wie möglich durchs Haus bewegt hatten. Mein Zimmer war so gemütlich - ein Mansardenzimmer mit Schrägdach auf beiden Seiten. Darunter waren die Betten aufgestellt, und dazwischen war ein geräumiger Tisch. Auch zwei kleine Nachttische hatten Platz, und ein Kleiderschrank, in dem ich ganz schnell meine Sachen zusammengerückt hatte, damit Frau Rywig für ein Kleid und einen Bademantel auch Platz fand.
„Also, erzählen Sie, Allegra“, sagte Frau Rywig. „Wenn Sie es selbst wollen.“
„Nichts will ich lieber“, sagte ich. Dann holte ich tief Luft und versuchte, so kurz und so klar wie möglich zu berichten. Über Hartmuts Geburt,
Weitere Kostenlose Bücher