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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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verknallt sei, und den kleinen Jungen, der gestern elf cremegefüllte Schokoeier verschlungen und sich dann über ihre neue Benetton-Jacke erbrochen hatte, und dass sie versprochen habe, fünfzig Zuckergusstörtchen für den Tag der offenen Tür an Weihnachten zu backen. Ich hörte ihr nur allzu gerne zu.
    Nach Tee und Kuchen klapperten wir die Maklerbüros ab und schauten uns Wohnungen und Häuser an, auf die Cora ein Auge geworfen hatte. Sie konnte es gar nicht erwarten, mit Mike zusammenzuziehen, gleich nach den Abschlussprüfungen wollten sie sich zusammen etwas mieten.
    Als die müde Wintersonne tiefer sank und das Licht weicher wurde, gerieten die kitschigen, auf alt getrimmten Elemente der Altstadt von Chester in Vergessenheit, und die Stadt ragte in einer Symphonie aus Holz und zartgelbem Gestein majestätisch empor in den eisblauen Winterhimmel. Und dann kam auf einmal Mike aus dem Dämmerlicht gehüpft, und zusammen kuschelten wir uns in unsere Jacken, rieben die Handschuhe aneinander, tänzelten durch die echten und nachgemachten Tudorarkaden, sogen den Duft von heißem Kaffee und zuckersüßen Leckereien in uns auf und schlitterten um die blank gewetzten Stadtmauern herum, um den trägen, glasklaren Fluss zu betrachten.
    Die alles erstickende Dickens-Atmosphäre war zu viel für Mike. Er bestand darauf, den Kragen seiner Wachsjacke aufzustellen, sich den Schal ums Gesicht zu wickeln und »Einen schönen Tag noch, Mr Pickwick!« und anderen Unsinn zu grölen, während er immer wieder seinen imaginären Hut lüftete und sich unsichtbare Prisen Schnupftabak in die Nase schob. Als Cora und ich wie Dickens’sche Waisenkinder sehnsüchtig ins vor Hitze beschlagene, mit Kunstschnee besprühte Schaufenster einer Konditorei starrten, verschwand Mike und tauchte, während wir unter den dicht gedrängten Passanten noch nach ihm Ausschau hielten, plötzlich auf der Brücke mit der exzentrischen, viktorianisch anmutenden Standuhr wieder auf. Dort lehnte er sich übers Geländer und rief uns zu: »Oh weh, was ist heute für ein Tag?« Cora und ich kicherten haltlos.
    »Heute? Na, Weihnachten!«, rief ich zurück und ignorierte die irritierten Blicke der Passanten.
    »Dann hab ich’s doch nicht verpasst«, erwiderte er und blickte sich in gespielter Verwunderung um. Er griff in seine Jackentasche und zog ein Zehn-Pence-Stück hervor, das er mit einer anmutigen Bewegung zu uns herüberschnippte. Wie in Zeitlupe segelte die Münze zu Boden, und während sie in der Luft ihre Spiralen zog, schien das schräge, gelbliche Licht der untergehenden Novembersonne nicht etwa von ihr reflektiert zu werden, sondern aus ihr zu entspringen. Ich streckte eine eingemummte, behandschuhte Hand nach ihr aus, griff aber natürlich daneben, woraufhin Cora und ich im Rinnstein nach dem wertvollen Penny tasteten und uns für diese Kostbarkeit aus seiner Hand gegenseitig wegschubsten.
    Bei Cora wurde um Punkt acht zu Abend gegessen. Auch wenn Cora nachdrücklich darauf beharrte, bezweifle ich, dass Phillippa so furchtbar erfreut war, mich kennenzulernen. Das war einige Jahre vor Coras und Mikes Hochzeit, bei der ich ihr half, sich in ihr erlesenes rotes, so gar nicht nach Brautmutter aussehendes Seidenkleid mit Korsettschnürung zu zwängen, und sie mich daraufhin mit Tränen in den Augen umarmte. Das kam später.
    Sie war älter, als ich erwartet hatte, größer und auf zurückhaltende Weise glamouröser. Sehr englisch auf eine Art, die nicht nur Nationalität, sondern auch Lebensstil, Akzent und Benehmen mit einschließt. Wie Cora drückte auch sie sich sehr gewählt aus, und sie trug die dunklen Haare zu einem eleganten Pferdeschwanz gebunden. Sie alterte in Würde, wie Lauren Bacall. French Manicure. Cora kam anscheinend nach ihrem Vater. Phillippa war außergewöhnlich gepflegt, trug eine teure, aber unaufdringliche schwarze Hose zum schwarzen Rollkragenpullover, keinen sichtbaren Schmuck und ein dezentes, schimmerndes Make-up – sparsam, aber ausreichend.
    Sie tischte uns ein exzellentes Dinner auf: pochiertes Lachsfilet mit einer Soße nach geheimem Rezept, dazu Erbsen und neue Kartoffeln mit Petersilienbutter, gefolgt von hausgemachter Zitronentarte, Bohnenkaffee und Biscotti. Sie war Cora gegenüber schnippisch und etwas nachsichtiger gegenüber Mike, und mich unterzog sie über die Kerzen auf dem Esstisch des beengten Speisezimmers hinweg einem regelrechten Verhör. Es sah dort aus, als hätte man die Wohnzimmereinrichtung einer

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