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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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Entferntesten interessiert? Das Leben ist zu kurz, um auch nur drei Sekunden meiner wertvollen Zeit mit dir zu vergeuden.
    Aber ich verkniff es mir, um ihn nicht mehr als nötig gegen mich aufzubringen. Meine Bestürzung war ihm nicht entgangen, er lächelte. Ich spürte, wie die Panik langsam ihre Finger nach mir ausstreckte, wie sie durch die Bodenfliesen nach mir griff und meine Fußknöchel packte. Um mich nicht noch mehr zu verraten und weil ich schließlich irgendetwas sagen musste, fragte ich: »Welche Disco?« Ein erbärmlicher Versuch. Er lächelte fast schon mitleidig, wissend.
    »Das Mädchen mit den roten Haaren hab ich auch gesehen. Das tote Mädchen aus der Zeitung. Da war ein schönes Foto von ihr drin. Haben Sie den Artikel geschrieben?«
    »Ja«, antwortete ich und streckte die Hand nach dem Türgriff aus. Meine Beine gehorchten mir wieder, aber er vereitelte meinen Fluchtversuch, indem er den Träger meiner Handtasche packte und gedankenverloren daran herumfummelte.
    »Dacht ich mir doch, dass Sie es sind. So ein hübsches Gesicht vergisst man nicht so leicht. Bei meiner ersten Verhandlung hab ich Sie auch schon hier gesehen. Die hatten mich in der Nacht mal wieder drangekriegt wegen Trunkenheit und ungebührlichen Benehmens. Schönes Pech, was? War ’ne schlimme Nacht für so einige Leute. Wenn ich dieses Mal die Stipe als Richterin erwische, diese Schlampe, zieht sie mich bestimmt über den Tisch. Vielleicht könnten Sie ja ein gutes Wort für mich einlegen? Wo Sie doch für die Zeitung schreiben? Hab keine Lust, schon wieder ’ne Geldbuße abzudrücken oder in den Bau zu wandern.«
    Es wirkte nicht direkt wie eine Drohung, eher wie eine opportunistische Anfrage. Dass es keine war, war mir durchaus klar, auch wenn ich jetzt mein strahlendstes Lächeln aufsetzte.
    »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen. Ich berichte nur aus dem Gerichtssaal, weiter nichts«, sagte ich entschuldigend. »Ich bin nur Reporterin.«
    »Auch gut«, antwortete er und ließ den Träger los. »Ich bin sicher, Sie werden mir noch irgendwie nützlich sein.« Ich trat die Flucht an. Zwar gemessenen Schrittes und aufrecht, aber eine Flucht war es dennoch. Eine Flucht zurück in den Gerichtssaal, wo der Busfahrer auf der Anklagebank nur mit Mühe die Tränen zurückhielt, während er stammelte, er habe gebremst, es sei aber zu spät gewesen und das Kind schon unter den Rädern. Ich schlängelte mich zu den Pressesitzen durch und bekam kein einziges Wort mehr von der Verhandlung mit. Mir war klar, dass ich den Currymann nicht zum letzten Mal gesehen hatte, und ich fragte mich, in welcher Hinsicht ich ihm wohl noch würde »nützlich« sein können.

Erinnerungsfetzen
    Z wei Stunden später saß ich an meinem Schreibtisch und war derart in Bewegungslosigkeit erstarrt, dass mir selbst das Brauen einer Tasse Tee als unermesslicher Kraftakt erschien. Das letzte Restchen Eigenwille, das ich besaß, schien durch meine Füße hinausgesickert und zu einer klebrigen Lache unter dem Tisch geronnen zu sein, die zähflüssig wie Karamell war und mich auf meinem Stuhl gefangen hielt. Das Telefon stand nur eine Armeslänge weit weg, schien jedoch in riesige Ferne gerückt zu sein. Vielleicht war es ja nur eine Halluzination. Ich betete, dass es nicht klingelte. Bitte nicht klingeln!
    Derartige Anfälle geistiger Abwesenheit erlitt ich ohnehin alle paar Monate, aber nach allem, was in letzter Zeit passiert war, wurde das Verlangen nach einem erlösenden Winterschlaf geradezu überwältigend.
    Ich wünschte mich einfach nur ganz weit weg, weg von der Stadt, von Finsternis und Entbehrung, von klingelnden Telefonen, Abgabeterminen und der toten Jenny, weg von dem Currymann und all den anderen schwarzen Strudeln um meine Füße, die immer höher und höher gegen meine Beine schlugen und daran rissen, je mehr ich versuchte, dagegen anzustrampeln und davonzuschwimmen.
    Als der endlose Tag in den Abend überging, sehnte ich mich mehr als alles andere danach, wieder mit der alten Cora im Studentenwohnheim zu wohnen, mich als die alte – bettelarme, aber erfinderische – Lizzy auf ihrem Bett zusammenzurollen, Videos zu schauen und Smarties zu essen und mich sicher und akzeptiert zu fühlen. Dort auf dem Bett, wo ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl hatte, angekommen zu sein und zu jemandem zu gehören und nicht mehr jede verdammte Minute an jedem verdammten Tag um Anerkennung kämpfen zu müssen, waren meine Stimme und meine Worte zum

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