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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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ersten Mal meine eigenen gewesen.
    Jeder von uns wusste genau, wer er war, und was das bedeutete.
    Zum Beispiel an jenem Tag im späten September, zu Beginn unseres zweiten Studienjahres, als Mike und Cora, Stevie und ich zu einem Ausflug aufbrachen. Formiert und gefestigt hatte sich unsere Viererbande erst wenige Monate zuvor, aber uns kam es vor, als hätte es uns schon immer in dieser Konstellation gegeben. An diesem perfekten, fröhlichen, für Lottogewinner reservierten Tag schlängelten wir uns in Stevies kleinem weißem Ford Fiesta mit dem großen Kassettenrekorder die Straße nach Worm’s Head an der Gower-Küste entlang und sangen: Oasis, Elvis, Calon Lân (um uns darüber lustig zu machen), Del Amitri, Crowded House, Tom Jones, unmusikalisch, viel zu hoch, hysterisch vor Abenteuerlust.
    In Stevies Auto, das unter einem knallblauen Himmel die schnellen Straßen entlangflog, war es warm, obwohl schon die ersten kessen Finger einer herbstlichen Brise den stählernen, steinernen Eigensinn der zweitgrößten Stadt von Wales kämmten. Der beste Teil kam erst hinter Swanseas zubetonierter Strandpromenade, wo die Straße über altes Gemeindeland führte und das Fell der grasenden Ponys wie mit Spinnweben überzogen wirkte. Langsam, schnell, langsam, schnell, so kugelten wir auf dem Rücksitz zum Rhythmus der gewundenen Landstraßen herum, über die sich die Zweige knorriger Bäume wölbten. Wir verfluchten Stevie dafür, dass er sich stur an die erlaubte Höchstgeschwindigkeit hielt, während der schwindende Sommersonnenschein verschwenderisch die grellen Farbtupfer später Rosen und Ginsterbüsche über den Grünstreifen und die Felder warf.
    Unsere Fahrt durch grün belaubte Tunnel und über löchrige Steinbrücken ist eine Zeitreise zurück in eine Ära, in der Drachen hinter jedem Baum lauerten, mit ihren Krallen die Sommerblumen zerdrückten und den Geruch der Erntezeit freisetzten. Mit jeder Links-rechts-Bewegung des Autos pendeln Mike und ich auf dem Rücksitz sanft auseinander und dann wieder zusammen, in Rechtskurven berühren sich unsere Oberschenkel, in Linkskurven unsere Oberarme. Ich rieche sein Aftershave, die längeren Locken an seinem Hinterkopf kitzeln meinen Nacken. Ich weiß, dass ihm das nicht entgeht. Er bewegt sich nicht.
    Ich kann Coras Gesicht im Rückspiegel sehen. Sie sitzt vorne, weil ihr sonst schlecht wird, und singt hingebungsvoll Alright von Supergrass mit. Sie wackelt mit den Schultern, ihre Hände tanzen einen kleinen Jive, es ist ein Gefühl wie im Leerlauf, als wären wir in unserem ganz privaten Musikvideo gefangen.
    Stevie konzentriert sich auf die kurvige Straße und summt leise vor sich hin. Ein überwältigendes Gefühl der Zuneigung strömt durch meine Kehle, stark und irgendwie metallisch. So waren wir damals. Immer. Ich liebe meine Freunde.
    Wir stehen auf den Klippen, wo der Wind stoßweise weht und das weiße heranrollende Wasser alle paar Sekunden mit furchterregendem Donnern an den Felsen emporbrandet.
    »Ich liebe es hier am Meer«, seufze ich und atme die salzige Seeluft ein.
    »Es ist doch nicht wirklich das Meer, das du liebst, Lizzy«, sagt Mike neben mir. »Das Meer ist doch nur eine endlose, nichtssagende Fläche.« Er packt meine Hand und hält sie nach oben, und ich imitiere seine dem Tag huldigende Körperhaltung. »Nein, was du liebst, was wir lieben, ist das Schauspiel, das es bietet, wenn es auf Land trifft, zielstrebige Brecher auf unbeugsame Klippen, die Reibung, die Leidenschaft, der Kampf der Elemente.«
    »Meine Güte, bist du heute metaphorisch drauf«, spotte ich, obwohl das Meer in meinem Herzen tost und die Gischt in meiner Lunge brandet. »Oder sollte das metaphysisch sein?«
    »Womöglich beides«, grinst er und verschlingt die ganze weite Welt mit seinem Lächeln. »Zusammen verweilten wir in den Kammern der See ….«, zitierte er mit einem Fragezeichen in der Stimme. Es ist ein Test, eine Aufforderung an mich.
    »Von Meermädchen umkränzt im Seetang, braun und rot – bis Menschenstimmen uns wecken, und wir ertrinken.«
    Er versteckt seine Freude nicht. Ich habe den Test bestanden und das Zitat aus J. Alfred Prufocks Liebesgesang zu Ende geführt. Für einen Moment gibt es nur uns, sind wir ganz eins.
    »Ich will ein Eis!«, schaltet sich Stevie ein, der ein paar Meter entfernt auf dem Pfad stehen geblieben ist. »Und ich will runter an den Strand!«, ruft Cora. »Was macht ihr zwei überhaupt da vorne?«
    »Ich komme schon, mein kleiner

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