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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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Albatross!«, ruft Mike zurück. Wir stolpern auf dem ausgetretenen Pfad zum Strand hinunter. Zu unserer Linken erhebt sich die Insel Worm’s Head, bevölkert von Schafen und Tagesausflüglern. Demütig verbeugt sie sich vor dem Meer.
    Immer wenn der Wind stärker wird und die Küste peitscht, ist es plötzlich so kalt, dass ich fröstele, obwohl ich Handschuhe und Schal trage. Mein Gesicht brennt, und mir bleibt der Atem weg, aber das hält uns nicht davon ab, beim Erreichen des Sandstrandes Schuhe und Socken auszuziehen. Es ist Flut, aber das Wasser zieht sich schon wieder zurück. Vor uns liegt ein Streifen nasser Sand, glatt und hart, und wir rennen los wie die Verrückten, umrunden Muscheln, Treibholz, die Rippen eines alten Fischerboots, sauber abgenagt vom Meer.
    Wir machen übertriebene Düsenfliegergeräusche und fliegen im Sturzflug aufeinander zu, barfuß und fröhlich, wenden in letzter Sekunde ab und wirbeln herum, bis wir keine Luft mehr bekommen.
    Cora und ich stürzen aufs Meer zu, und meine längeren Beine überholen ihre kürzeren dort, wo die Wellen heranrollen und auf Land treffen. Inzwischen ist das prickelnde Gefühl in meinen rauen, protestierenden Füßen zu echtem Schmerz herangewachsen, aber ich ignoriere ihn einfach. Das Wasser spritzt, und wir rennen weiter, bis wir wadentief drin stehen. Für einen kurzen Augenblick besteht die Welt nur noch aus Salz und Sonne und dem endlosen grünen Ozean und unserem explodierenden Atem.
    Erschöpft und lachend prallen wir gegeneinander und halten uns aneinander fest, bevor wir auf tauben Beinstümpfen wieder an Land humpeln.
    Mike spurtet auf Cora zu und fängt sie in seinen Armen auf, um sie anmutig um sich herumzuwirbeln. Über ihre Schultern hinweg, so dass sie es nicht sehen kann, sieht er mir in die Augen. »Ihr zwei habt wohl völlig den Verstand verloren! Ihr holt euch noch ’ne Lungenentzündung«, sagt er. Dass wir beide ihm gehören, sagt er nur mit seinen Augen. Er ist ein wenig traurig, aber Cora strahlt genug für sie beide, ein endloses Lächeln. Die Welt ist in Ordnung.
    Verstehen Sie, wie es war? Wie es hätte sein können? Wie ich das Gefühl in mich aufsog, zum ersten Mal irgendwo dazuzugehören, nicht nur zu einer Gruppe von Menschen, sondern zu echten Freunden? Wie hätte es mir nicht zu Kopf steigen und mich trunken und schwindlig machen können, wie hätte ich nicht gierig alles verschlingen können? Die alte Lizzy, die es gewohnt war, außerhalb zu stehen und alles zu beobachten, behielt ein Auge auf die neue Lizzy, weil sie es insgeheim besser wusste. Aber sie schwieg. Noch.
    So viele eingefangene Momente, Sommer, Geburtstage, Sonntage. Viel farbenfroher und dreidimensionaler als Postkartenmotive, eine wundersame Welt in Cinemascope und Breitbild, eine Welt, in der Worte der Wirklichkeit nicht immer gerecht werden.
    Man stelle sich das vor: meine Sehnsucht nach Vollständigkeit und Freundschaft, endlich erfüllt.
    Man stelle sich vor, wie perfekt mir die Stadt Chester einige Monate später erschien, als ich Cora und Mike in der vorlesungsfreien Woche im November zum ersten Mal zu Hause besuchte. Sie erschien mir wie ein Gegengift zur eintönigen Tristesse des Reihenhauses meiner eigenen Eltern.
    Cora machte Windmühlenarme auf dem schmalen Bahnsteig, rief meinen Namen, noch bevor ich aus dem Zug gestiegen war, und erwürgte mich fast, als sie mir die Arme um den Hals warf. Dabei hatte ich sie erst fünf Tage vorher zum letzten Mal gesehen.
    »Wie war die Fahrt? Hast du Hunger? Bestimmt hast du Hunger. Wir könnten irgendwo Pommes essen gehen oder lieber Kaffee und Kuchen? Ich kenne den perfekten Ort dafür!« Die Entscheidung war eindeutig bereits getroffen.
    »Wo ist Mike?«, fragte ich leichthin, während sie mich Richtung Stadtzentrum bugsierte. Es war Freitag, und sie war direkt aus der Vorschule gekommen, in der sie aushalf, wann immer sie konnte. »Mike ist mit seiner Schicht im Café auch bald fertig«, sprudelte es aus ihr heraus, bevor sie mir genauestens auseinandersetzte, was sie für meinen Besuch geplant hatte und wie sehr sich ihre Mutter darauf freute, mich kennenzulernen, nachdem sie nun schon so viel über mich gehört hatte. »Du magst sie bestimmt, aber ich warne dich, sie hat eine etwas direkte Art. Mike macht sich natürlich vor Angst halb in die Hose.«
    Im Café quasselte Cora wie ein Wasserfall über Vorschulkinder und Lehrpläne und ihre Bewerbung fürs Referendariat und Liam Parker, der in sie

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