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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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hatte. Er hatte ihn mir nicht gezeigt, aber ich hatte beobachtet, wie er heimlich einen Blick in das dunkelblaue Samtkästchen geworfen hatte, als ich Getränke kaufen gegangen war.
    »Mike«, sagte ich durch die Hand hindurch, die sich um meine Kehle krallte, und das Aussprechen seines Namens verursachte mir beinahe körperliche Schmerzen.
    Ich griff nach seiner Hand, und für einen kurzen Moment erhaschte ich dort in dem sonnendurchfluteten, drückend heißen Waggon zwischen Kaugummis und falsch geschriebenen Graffitisprüchen einen Ausblick auf ein anderes, wunderbares Leben. Ein Leben, in dem ich jede Sekunde des Tages angebetet werde, nicht nur während jener flüchtigen, gestohlenen Momente, die sich vor aller Augen und doch im Verborgenen abspielten. Dieser Ausblick überwältigte mich, er machte mich sprachlos.
    Ich weiß jedoch, dass es nur eine Illusion ist. Ich glaube Mike zu kennen, denn ich habe ihn beobachtet, wenn er mit ihr zusammen ist. Ich habe die Liebe und Nachsicht und Verletzlichkeit in seinen Augen gesehen, wenn sie ihn ermahnt, gerade zu sitzen, seine Tischmanieren nicht zu vergessen und sich nicht wie ein Trottel aufzuführen, sein Bedürfnis, ihr zu gefallen, sie zufriedenzustellen, wenn sie ihn daran erinnert, wie glücklich sie wäre, wenn er doch verdammt noch mal ein paar winzige Kleinigkeiten beherzigen würde.
    Obwohl wir uns noch immer im selben Moment befinden, obwohl sich Raum und Zeit nicht verändert haben, ist plötzlich kein Platz mehr für mich in dem Traumbild. Ich weiß, dass Coras Herz beim kleinsten Verdacht in tausend Stücke zerspringen würde. Das darf ich nicht zulassen. Ich kann unmöglich so tun, als sei nichts gewesen zwischen uns, aber ich sage trotzdem: »Zwischen uns darf nichts sein. Selbst wenn du sie nicht liebst, muss dir das klar sein. Sie ist meine Freundin. Es wäre nicht richtig.«
    »Aber ich liebe sie doch«, sagt er mit zusammengebissenen Zähnen. »Sie ist nur so anders als du. Bei dir kann ich ich selbst sein, und das ist genug.«
    Ich wusste, dass es nur genug war, weil ich kein Recht hatte, Erwartungen an ihn zu stellen. Und ich wusste auch, dass es nicht genug gewesen wäre, wenn ich an Coras Stelle gewesen wäre. Wie auch? Ich konnte ihm nicht sagen, wie schwach und naiv er war, weil ich ihn so sehr wollte, mehr denn je.
    »Zeig mir den Ring«, sage ich, statt auszusprechen, was ich wirklich fühle. Was wichtig gewesen wäre.
    Er zeigt mir den Ring, und in mir blitzt schmerzhaft die Erinnerung an den Moment auf, als Cora mir damals erzählt hatte, Mike habe zwar noch nicht offiziell um ihre Hand angehalten, aber sie hätten gemeinsam beschlossen, sich zu verloben.
    Die beiden hatten mir zum neunzehnten Geburtstag Konzertkarten für die Crash Test Dummies geschenkt. Afternoons and Coffee Spoons war Mikes und mein Lieblingssong. Immer wenn er im Radio kam, nahm Mike meine Hand, zog mich auf die Füße und wirbelte mich herum. »Hüpf mit mir, du wunderschöne Lizzy, strahlende Lizzy im Abendlicht«, sagte er beim ersten Mal. »Komm, wir gehen, du und ich, wenn der Abend ausgestreckt ist am Himmelsstrich.«
    Damals, als wir unseren atemlosen Pogo durch die Wohnung tanzten, während Cora im Schneidersitz neben der Stereoanlage saß, engelhaft vor- und zurückwippte und über Mikes Ausgelassenheit kicherte, erkannte ich diese Sätze noch gar nicht als Zitat.
    Erst einige Monate später entdeckte ich das Gedicht von Eliot und brach in Tränen aus. War nicht unsere Liebesgeschichte – auch wenn ich sie damals noch nicht so nannte – genauso, wie es die Crash Test Dummies sangen: streng rationiert in Kaffeelöffel- oder in unserem Fall Teelöffelportionen?
    Als sie mir die Tickets überreicht hatte, sagte Cora zu mir: »Ich muss dir was erzählen! Ich weiß, du bist immer noch nicht über diesen Loser Tom hinweg, aber bei Mike und mir gibt es Neuigkeiten, und ich will, dass du die Erste bist, die es erfährt: Wir haben uns verlobt!«
    Ich sagte gar nichts. Damals glaubte ich, mein Schock rühre daher, dass sie noch so jung waren, dass es so plötzlich kam, dass es eine so weitreichende Entscheidung war. Erlebten wir nicht alle gerade die schönste Zeit unseres Lebens? Mir zumindest kam es so vor. Und Cora machte alles kaputt.
    Meine ungewohnte Sprachlosigkeit schien sie traurig zu machen. Natürlich wollte ich etwas sagen, aber nicht einfach irgendetwas, sondern das Richtige. Aber ich sagte nichts.
    Also war sie gezwungen weiterzureden: »Ich weiß, das

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