Saat des Feuers
deine Theorie Potenzial hat. Dennoch …«
»Denk darüber nach, Cædmon. Wie könnte ein fünfundachtzigjähriger Mann eine schwere, goldene Truhe verstecken? Was willst du wetten, dass es Galens letzter Wunsch an seine viel jüngere Frau war, seine kostbare arca vor den Plünderern zu verstecken, die das Land während der Pest durchstreiften? Sir Kenneth erzählte uns, dass jeder in Godmersham an der Pest starb.«
»Bis auf Philippa«, murmelte er. Edies Theorie begann immer plausibler zu klingen. »Und als ihr Ehemann tot war, versteckte Philippa die goldene arca irgendwo auf dem Kirchengelände von St. Lawrence the Martyr.«
»Ehrlich gesagt habe ich dazu auch eine Theorie«, konterte Edie und überraschte ihn aufs Neue.
»Schlau und schön. Ich bin völlig hingerissen.«
Edie schlug ihm spielerisch auf den Arm. »Hey, du hast vergessen, meine Muskeln zu erwähnen.« Dann fuhr sie in ernsterem Ton fort: »Ich fange an zu glauben, dass wir den Märtyrerteil der Vierzeiler völlig falsch ausgelegt haben.«
»Ich nehme an, du beziehst dich auf die dritte Zeile der letzten Strophe?«
»Ganz recht. ›Doch wenn ein Mann mit tiefgläubigem Herzen
den gesegneten Märtyrer sucht‹ bezieht sich nicht auf den heiligen Laurentius. Zumindest glaube ich das. Ich glaube, es bezieht sich wieder auf die Gans.«
»Ich kann dir nicht ganz folgen.« Ihm war es egal, wer die Wahrheit entdeckte, solange sie nur entdeckt wurde.
»Okay, wir wissen jetzt, dass die Gans sich auf Philippa, die gute Hausfrau, bezieht«, sagte Edie und zählte dabei den ersten Punkt an ihrem kleinen Finger ab. Dann ging sie weiter zum Ringfinger. »Sir Kenneth zufolge war Philippa die Tochter des Friedensrichters von Canterbury.« Beim Mittelfinger stellte sie fest: »Und Canterbury, wie du ja weißt, da du Chaucer gelesen hast, ist der Ort, an den die mittelalterlichen Pilger reisten …«
»Um den Ort zu sehen, wo der heilige Thomas Becket im Jahre 1170 von den Handlangern Heinrichs II. ermordet wurde«, beendete Cædmon den Satz, denn er war mit dem Vorfall gut vertraut. Der ermordete Erzbischof war ein Opfer des Konfliktes zwischen Kirche und Staat gewesen. »Innerhalb weniger Wochen nach dem Mord machten wilde Gerüchte in ganz England die Runde. Diejenigen, die mit dem blutigen Gewand des toten Erzbischofs in Berührung kamen, berichteten von allen möglichen erstaunlichen Wundern. Bald darauf sprach die katholische Kirche Thomas Becket als Märtyrer heilig.«
»Und so entstand die Verehrung des heiligen Thomas.«
Mit großer Klarheit erkannte Cædmon, dass Edie absolut recht hatte. Beim Entschlüsseln des vierten Quartetts hatten sie einen Hinweis falsch gedeutet. So wie Philippa es zweifelsohne beabsichtigt hatte.
Edie lehnte sich an die Wand des Lieferwagens, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen. »Das ergibt einwandfrei Sinn, nicht wahr? Philippa, damit betraut, die Bundeslade zu verstecken, bringt sie zu dem einzigen Ort, den sie abgesehen von Godmersham kennt: ihren Geburtsort Canterbury.«
»Mmmm.« Er grübelte darüber nach und ging die einzelnen
Teile noch einmal durch. »Wir wissen nicht, ob Philippa die Bundeslade tatsächlich in Canterbury versteckt hat«, meinte er, sich völlig darüber im Klaren, dass Edie dazu neigte, voreilige Schlüsse zu ziehen.
»Natürlich wissen wir, dass Philippa die Bundeslade in Canterbury versteckt hat. Es steht eindeutig in den Quartetten. ›Dort in dem Schleier zwischen zwei Welten …‹«
»›… ist die Wahrheit zu finden.‹ Die Wahrheit, nicht die arca «, betonte er ruhig. »Was möglicherweise eine verschlüsselte Art ist zu sagen, dass wir unseren nächsten Hinweis in Canterbury finden.«
Offensichtlich verstimmt seufzte Edie. »Und da dachte ich, das würde einfach werden. Okay, irgendwelche Ideen, wo wir in Canterbury suchen sollen?«
Diese neue Herausforderung akzeptierte er eher, deshalb hielt er sich nicht lange mit verdrießlichen Beschwerden auf, da ihm bereits von Anfang an klar gewesen war, dass sie einem sich windenden Pfad folgten.
»Thomas Becket wurde in der Kathedrale ermordet. Ich schlage vor, dass wir dort unsere Suche starten.« Während er sprach, wurde der Lieferwagen langsamer und hielt an.
Cædmon spähte aus der Hintertür und sah, dass der Fahrer auf den Parkplatz eines Restaurants am Straßenrand gebogen war. Mit etwas Glück würden sie hier eine Mitfahrgelegenheit nach London in einem der Dutzend Fahrzeuge ergattern, die auf dem Parkplatz
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