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Saat des Feuers

Saat des Feuers

Titel: Saat des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Palov
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aufgeblasenen Kuratoren zu tun gehabt. Doch gestern Abend war er das erste Mal religiösen Fanatikern gegenübergestanden, und diese Begegnung hatte ihn zutiefst schockiert. Man konnte mit solchen Menschen nicht vernünftig reden, denn sie dienten nur einem einzigen Herrn.
    Man konnte sich ihnen nur fügen.

26
    »Glauben Sie, dass uns jemand folgt?«, fragte Edie, wobei sie in den Außenspiegel eines geparkten Autos blickte.
    Cædmon wartete, bis die Ampel an der Connecticut Avenue gelb
wurde, dann nahm er sie beim Ellbogen und drängte sie über die Straße auf den Haupteingang des National Zoo zu. Wenige Sekunden später passierten sie die zwei Bronzelöwen, die am Eingangstor Wache standen.
    »Wenn uns jemand folgt, dann verschmelzen unsere Verfolger jedenfalls erfolgreich mit der Landschaft.«
    Edie zitterte, denn der Schneefall des gestrigen Tages hatte sich in ein frostiges Nieseln verwandelt. Sie drängte sich enger an Cædmon unter den schwarzen Regenschirm, den sie unterwegs gekauft hatten. Als sie am Besucher-Center vorbeikamen, betrachtete sie das Gelände, das sich in den Glastüren spiegelte. Es überraschte sie nicht, dass der Zoo auf unheimliche Weise verlassen wirkte, denn Tiere zu beobachten war im Dezember nicht gerade der große Renner. Andererseits waren sie auch nicht hier, um die Attraktionen zu sehen. Sie waren hier, um den Mann zu treffen, der illegal die Steine des Feuers gekauft und dadurch die gestrige brutale Folge von Ereignissen in Gang gesetzt hatte.
    »Lebt Ihre Familie hier in der Gegend?«, fragte Cædmon beiläufig. Während der gesamten U-Bahnfahrt von Arlington hatte er beständig eine angenehm leichte Konversation aufrechterhalten. Da Edie seine Tricks durchschaute, nahm sie an, dass das Geplauder eher ihr als ihm nutzen sollte. Es war Cædmons Art, ihr ein wenig die allzu offensichtliche Nervosität zu nehmen. Er konnte ja nicht wissen, dass persönliche Fragen bei ihr eine ähnliche Reaktion auslösten.
    »Meine Mutter und mein Vater kamen beide bei einem Bootsunfall vor der Küste von Florida ums Leben«, antwortete sie, und die in fünfundzwanzig Jahren häufig benutzte Lüge kam ihr leicht über die Lippen. Als sie sich dem Haus für kleine Säugetiere näherten, deutete sie zu dem Weg auf der rechten Seite. Die Zooanlagen waren ein Irrgarten aus Wegen, die sich durch überraschend hügeliges Gelände wanden. »Es war das Labor-Day-Wochenende, und ein Betrunkener in einem Schnellboot raste direkt in sie hinein. Ich war erst elf Jahre alt, als es passierte.«

    Für gewöhnlich schmückte sie die Geschichte noch mit allerlei Einzelheiten aus, etwa, dass der nicht existierende Fahrer des Bootes dafür nur zwei Jahre ins Gefängnis musste. Aber heute fühlte sie sich aus irgendeinem unerklärlichen Grund schuldig wegen dieser Lüge. Obwohl es ihr ein Rätsel war, warum sie sich schuldig fühlen sollte. Scham, ja. Schuld, nein. Schließlich war es nicht ihre Schuld, dass auf ihrer Geburtsurkunde der Vater als »unbekannt« angegeben war. Oder dass ihre Mutter eine Drogensüchtige gewesen war, die nie ihren Hunger nach Heroin verloren hatte. Als ihre Mutter an einer Überdosis starb, war Edie gezwungen, zweieinhalb Jahre bei Pflegeeltern zu verbringen, bis ein gutherziger Sozialarbeiter sich ihres Falls annahm und sich die Mühe machte, ihre Großeltern mütterlicherseits in Cheraw, South Carolina aufzuspüren. Edie sprach nie über diese dreißig albtraumhaften Monate, die sie auf diesem Karussell des Pflegeunterbringungssystems des Staates Florida verbracht hatte. Mit niemandem. Es gab Dinge, die ein Mensch nicht mit einer anderen menschlichen Seele teilen konnte oder sollte.
    Als Cædmon eine Dunstwolke näher kommen sah, wartete er, bis ein rotgesichtiger Mann in winterlicher Lycra-Sportkleidung an ihnen vorbeigejoggt war. Dann nahm er sie besorgt am Ellbogen. »Wer hat sich um Sie gekümmert?«
    »Oh, ich, äh, lebte dann bei meinen Großeltern in South Carolina. Pops und Granma waren toll. Wirklich, wirklich toll«, sagte sie mit einem breiten, falschen Lächeln. Da sie sich wegen der Lüge unwohl fühlte, täuschte sie ein plötzliches Interesse an den unbelaubten Büschen vor, die an einer niedrigen Stützmauer entlang gepflanzt waren. Der Winter hatte die Landschaft fest in seinen Klauen. Die nahen Bäume und Bepflanzungen waren mit einem Leichentuch aus Eiskristallen bedeckt. Die meisten Tiere hatten sich in ihren Bau zurückgezogen. Als sie am Käfig der Tamarine

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