SACHMET - KATZENDÄMMERUNG Band 2 - Horror - Thriller
grauen Filter. Der Eindruck war mehr als verwirrend. Ich saß auf dem Stuhl des einen Zimmers und beobachtete gleichzeitig ein anderes. Zusätzlich variierten die Tageszeiten; dort, wo mich Ach festhielt, herrschte früher Morgen, ›nebenan‹ dagegen Abend oder gar Nacht. Räume und Zeiten verschmolzen zu einer widernatürlichen Einheit.
Obwohl die Rassel nahe an meinem Ohr geschwungen wurde, nahm ihre Lautstärke nach und nach ab. Ich begab mich von einem Raum in einen anderen und übertrat dabei zugleich die Schwelle zu einer mir unbekannten Zeit. Ich wusste, dass Ach ihr schamanisches Ritual nicht unterbrochen hatte, und doch war nun Stille um mich.
Graugelbes Licht fiel auf den Boden vor mir. Ich musste flach auf den Steinfliesen liegen, da ich von meiner Position aus die Unterseite eines Stuhls erkennen konnte. Wände und Schränke schienen nach oben hin auseinander zu bersten. Es wollte mir aber nicht gelingen, mich zu erheben. Schnell begriff ich, dass ich auf diese visuellen Fantasien, diese Visionen, keinerlei Einfluss hatte. Ich war jedoch mehr als nur ein Zuschauer; irgendwie war ich ein aktiver Teil dieses Szenarios. Ein Paradoxon. Aber es wurde noch skurriler.
Mit einem Mal spürte ich, wie eine heftige Erregung in mir zu brodeln begann. Wut, Frustration und Trauer pochten in meinen Adern. Mein Atem war nur noch ein Hecheln; durch die zusammengekniffenen Augen verloren die mich umgebenden Dinge nun wieder an Schärfe. Ich tobte. Ich war geradezu wahnsinnig vor Wut. Doch warum? Wie war es möglich, dass ich alles abgrundtief hasste – mich eingeschlossen – ohne den Grund dafür zu kennen? War ich nun endgültig übergeschnappt?
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Auf ein unbekanntes Signal hin rasten plötzlich Stuhlbeine, Blumentöpfe, Vasen und Türrahmen auf mich zu. Die Angriffe erfolgten so schnell, dass ich nicht immer rechtzeitig ausweichen konnte. Bei jedem Zusammenstoß brüllte ich meine Wut laut hinaus. Aber es war kein Brüllen, eher ein zischendes Fauchen. Ich fauchte?
Und nun begann ich zu verstehen. Ich hatte nicht nur Raum und Zeit verlassen, sondern auch meinen Körper. Ich lag nicht etwa am Boden, wie ich zuerst angenommen hatte, ich stand, aber ich war wesentlich kleiner geworden. Nicht die Gegenstände stürzten sich auf mich, sondern ich raste ihnen blindwütig entgegen. Ich fauchte, weil ich zornig war. Und weil es etwas Natürliches war, für eine Katze. Als ich nun auch erste Gedankenfetzen auffing, gab es keinen Zweifel mehr darüber, wo ich mich befand. Achs Magie ließ mich mit Taschas Augen sehen, ihre Gefühle und Gedanken teilen. Ich/sie war derart erregt, dass meine/ihre feinen Sinne sie teilweise im Stich ließen. Speicheltropfen flogen von ihrem Maul, ihre Haare richteten sich elektrisiert auf. Durch ihre Anspannung spürte sie die vielen Zusammenstöße kaum, doch stets machte sie augenblicklich einen Buckel und fauchte. In dieser Situation waren alle Dinge, selbst ein einfacher Stuhl, ihre erklärten Feinde.
Ihre Gedanken kreisten fast nur um mich. Mein Verrat, meine Schwäche, trafen sie völlig unvorbereitet. (Während ich einerseits Zeuge meiner eigenen Anklage wurde, versuchte ich andererseits die mögliche Zeit dieser Szene zu bestimmen.)
Tascha hatte anfangs noch gehofft, unsere beiderseitige Liebe sei so stark, dass sie auch den Wechsel ihrer körperlichen Hülle unbeschadet überstehen konnte. Nun musste sie bitter erkennen, dass ich offenbar mehr ihren Körper als sie selbst geliebt hatte. Sie fragte sich sogar, ob es überhaupt jemals Liebe gewesen war. Leidenschaft und Gier trafen die Sache schon besser.
Doch Tascha verdammte mich nicht völlig; schließlich war auch sie es gewesen, die geradezu wie besessen immer und immer wieder jeden Zoll meiner delikaten Haut (ihre Gedanken!) gekostet hatte, meinen Speichel wie Honig getrunken und meine Männlichkeit tief in sich genossen hatte. Konnte sie mir einen Vorwurf daraus machen, dass ihre Wildheit die meine erst entfacht hatte? Und dass ich nun Hunger nach ›mehr‹ verspürte? Aber dachte ich dabei überhaupt an sie? Konnte ich mir denn nicht vorstellen, wie schwer auch für sie ihr neues, altes Leben war? Sie fühlte sich innerlich zerrissen; durch ihre Adern floss schon seit tausenden von Jahren Katzenblut – das Blut der göttlichen Bastet – und heute wie damals war sie nicht abgeneigt, sich von einem starken Männchen, ob nun Löwe oder Straßenkater, bespringen zu lassen.
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