Sacramentum
wieder lebend verlassen würde.
»Ich versuche zu heilen, was du zerstört hast«, sagte Dragan, »indem ich das Sakrament in den Berg zurückhole. In dem Augenblick, als es uns verließ, begann alles zu sterben: erst die Sancti, dann der Garten und jetzt alle anderen. Das Wehklagen wird auch dich niederstrecken. Glaub ja nicht, dass du verschont werden wirst. Ich versuche, dir das Leben zu retten.«
»Und was ist mit dem Mädchen? Was ist mit ihrem Leben? Ist sie ein akzeptables Opfer?«
Dragan schnaufte verächtlich. »Die Bibel ist voll von Opfern. Hat nicht auch Christus sein Leben gegeben?«
»Christus hat sein Leben zum Wohle aller gegeben.«
»Und die Wiedereinsetzung des Sakraments in der Zitadelle wird das Gleiche erreichen. Schau dich doch nur um! Erdbeben, Krankheit … Sieh mich an …« Er zog den Ärmel hoch, um seinen zerstörten schwarzen Arm zu enthüllen. »All das ist erst geschehen, nachdem das Sakrament befreit worden ist.«
»Das stimmt nicht. Es hat schon immer Erdbeben gegeben. Und es hat auch immer Hunger gegeben, Dürre und weltweite Epidemien. Wir als Männer Gottes dürfen kein unschuldiges Mädchen in ein mittelalterliches Kreuz voller Dornen stecken, um den göttlichen Geist einzusperren, den sie in sich trägt … Egal, was uns das auch kosten mag. Ich habe die Ketzerbibel gelesen. Ich kenne die wahre Geschichte des Sakraments, und ich kenne auch die wahre Geschichte des Berges.« Athanasius hielt sein Handy hoch, zeigte Dragan das Foto der Spiegelprophezeiung und legte es zwischen sie auf den Boden. »Ich weiß, dass du an das glaubst, was du da tust; aber es gibt noch einen anderen Weg. Wir haben die einmalige Chance, alles wieder zurechtzurücken. Lies, was dort steht.« Er trat ein paar Schritte zurück und nahm die Fackel zur Seite.
Dragan rückte langsam vor und hob das Handy auf.
Athanasius schaute zu, wie der Sanctus die Spiegelprophezeiung las. »Wir haben hier die Chance, die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen«, sagte er, »aber dafür dürfen wir die alten Fehler nicht wiederholen.«
Dragan schüttelte den Kopf. »Du irrst dich. Das hier beweist nur die Weisheit dessen, was ich zu tun versuche. Wenn das Mädchen das Sakrament in sich trägt, dann ist das hier ihr Heim.« Er begann, sich die Soutane zu reiben. »Sie muss hierher zurückkehren, oder sie stirbt … so oder so.« Das Reiben wurde immer hektischer, und Dragans Stimme verwandelte sich in ein schreckliches Heulen. »Wir werden alle mit ihr sterben!«, kreischte er, als das Wehklagen ihn genauso schnell und gnadenlos übermannte wie die anderen auch.
101
Gabriel und Liv hatten gut zwei Drittel des Wegs zu der Anlage von Dragonfields SPA zurückgelegt, als plötzlich der Schamal zuschlug. Gabriel hatte schon länger gespürt, wie der Wind zugenommen und den Jeep hin und her geworfen hatte, doch die verräterische Staubwolke bemerkte er erst, als sie die Sterne verschluckte und eine Wand aus Sand durch das Wadi auf sie zuraste.
Wenige Augenblicke später wurden sie von Millionen zischender Sandkörner umschlossen, die mit voller Wucht gegen den Jeep schlugen. Liv setzte sich auf. Die Luft wurde elektrostatisch aufgeladen und knisterte, und Liv sträubten sich die Nackenhaare.
»Ist schon okay«, sagte Gabriel, griff beruhigend nach ihrer Hand und bekam dabei einen leichten Schlag. »Wir sind fast da.«
Das Zischen wurde immer lauter, als der Sturm an Intensität zunahm. Gabriel konnte kaum noch etwas sehen. Mehr als ein geisterhaftes Glühen drang von den Frontscheinwerfern nicht mehr zu ihm durch. Er verlangsamte die Geschwindigkeit zwar ständig, dennoch fuhr er immer wieder gegen die größeren Steine, denen er bis jetzt hatte ausweichen können. Er schaute auf sein Navi. Das Wadi hatte eine sanfte Kurve gemacht, und sie fuhren jetzt in die falsche Richtung.
»Wir müssen anhalten«, verkündete Gabriel. »Halt die Augen offen. Vielleicht entdecken wir etwas, das uns Schutz bieten könnte. Es wird nicht lange dauern, versprochen – nur bis der Sturm ein wenig abgeklungen ist.«
Sie fuhren noch ein paar hundert Meter weiter und zuckten jedes Mal zusammen, wenn der Jeep mit dem Unterboden gegen einen größeren Stein stieß. Gabriel wusste, wenn sie einfach stehen blieben, dann würden winzige Staubpartikel in den Motor eindringen und ihn verstopfen. Und wenn er erst einmal ausgegangen war, ließe er sich vielleicht nicht mehr starten. Doch jeder noch so kleine Schutz würde den Schaden
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