Sacramentum
minimieren. Langsam krochen sie immer weiter voran, lauschten dem Wind draußen und dem Zischen des Sands, der von den stärkeren Böen herangeweht wurde.
»Da!« Liv deutete auf einen großen, dunklen Fleck am Ufer des Wadis. Gabriel riss sofort das Steuer herum und hielt darauf zu. Nur kurz waren die Scheinwerfer frei von Sand, doch lange genug, dass Gabriel die glatten Wände einer recht großen Höhle sehen konnte. Er lenkte den Jeep hinein und fuhr so weit es ging. Dann fiel die Decke ab, und sie kamen nicht mehr weiter. Das Heck des Jeeps ragte noch immer in das Wadi hinaus, aber der Motorblock war geschützt. Besser ging es wohl nicht. Gabriel schaltete den Motor aus, um die Höhle nicht mit Abgasen zu füllen, und löschte auch das Licht, um die Batterie zu schonen.
Liv griff nach hinten und tastete nach dem Überlebenspaket, das Washington ihnen mitgegeben hatte. Sie fand eine kleine Maglite-Taschenlampe zum Kartenlesen und Signalgeben und schaltete sie ein. »Komm schon«, sagte sie dann und warf sich den Rucksack über die Schulter. »Lass uns nachschauen, wie tief die Höhle ist. Die Luft dort wird mit Sicherheit sauberer sein als hier.«
Gabriel folgte ihr. Er staunte über ihren Mut und gesellte sich zu ihr in der Höhle. Liv hakte sich bei ihm unter, und gemeinsam stiegen sie in die Dunkelheit hinab.
Wie viele andere Höhlen, die den weichen Fels unter der Wüste durchzogen, so war auch diese hier weit größer, als es von außen den Anschein hatte. Tunnel wanden sich durch den Fels, die das Wasser gegraben hatte, als dieses Land noch fruchtbar gewesen war. Je tiefer sie vordrangen, desto leiser wurde der Sturm, und schließlich war nur noch das Knirschen ihrer Schritte und das Echo ihres Atmens zu hören. Das erinnerte Liv an das Flüstern des Sakraments in ihrem Kopf; allerdings hatte sie es seit Bagdad nicht mehr gehört, und sie fürchtete sich vor dem, was das bedeuten könnte. Bis jetzt hatte sie es stets vermieden, darüber nachzudenken, was geschehen würde, sollte sie die Prophezeiung nicht erfüllen, doch jetzt, da ihr kaum noch Zeit blieb, musste sie sich den Fakten stellen. Der Wortlaut der Prophezeiung war eindeutig: Wenn sie den Garten nicht vor Tagesanbruch fand, dann würde sie sterben.
Vielleicht war es ja dumm von ihr gewesen zu glauben, sie allein könne angesichts der unumstößlichen Gesetze des Universums einen Unterschied machen. Sie hatte immer gewusst, dass sie eines Tages sterben und irgendwann auch die Welt enden würde. Mit der Zeit zerfiel alles zu Staub, was einst grün und lebendig gewesen war. So war das nun mal: Alles musste sterben; alles war irgendwann einmal zu Ende. Und dafür war dieser Ort genauso gut geeignet wie jeder andere auch.
Liv blieb stehen und ließ Gabriel los, als sie sich zu Boden gleiten ließ und mit den Händen über den glatten Felsen strich. Gabriel hockte sich neben sie. »Alles okay mit dir?«
Sie lächelte ihn an. »Ich will mich ausruhen. Es macht keinen Sinn, noch weiter zu gehen.«
Gabriel schaute über die Schulter und tiefer in die Höhle hinein. »Ich nehme an, du hast recht.« Er setzte sich neben sie, holte eine Thermodecke aus dem Überlebenspaket und legte sie Liv um die Schultern. Dann positionierte er den Rucksack so, dass sie ihren Kopf darauflegen konnte.
Liv betrachtete Gabriels konzentriertes Gesicht und legte ihm die Hand auf die Wange. »Ich habe damit gemeint, es hat keinen Sinn mehr weiterzufahren. Es ist vorbei. Selbst wenn der Sturm jetzt enden würde, wüssten wir noch immer nicht, ob wir überhaupt in die richtige Richtung fahren und wie weit es noch ist.«
»Es sind keine zehn Meilen mehr«, erwiderte Gabriel. »Das Navi wird uns direkt dorthinführen.«
»Und was heißt ›dorthin‹? Wir sind auf dem Weg zu einem Ort, von dem wir nur vermuten , dass er etwas mit alledem zu tun haben könnte.«
Gabriel öffnete den Mund, um etwas darauf zu erwidern, hielt dann jedoch inne und wandte sich ab. Liv fühlte seine Enttäuschung und seinen Schmerz, der wie Wärme von ihm ausstrahlte. Sie verstand, dass er nie aufgeben würde. Gabriel hatte seine ganze Familie bei dem Versuch verloren, diese Prophezeiungen zu erfüllen, und so spürte er die Last der Verantwortung sogar noch mehr als sie, die sie das Sakrament in sich trug. Das Einzige, was Liv wirklich bereute, sollte der Tod sie holen, war, dass sie nicht mehr Zeit in Gesellschaft dieses starken, wunderbaren Mannes hatte verbringen können. Beide hatten sie in
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