Sacramentum
unnatürlich dunkles Haar, was auf ein gehöriges Maß an Eitelkeit und Angst vor dem Alter schließen ließ. Dazu trug er jene Art von leicht schäbigem Anzug, mit dem nur ein Mitglied des alteingesessenen Adels durchkam. Pentangeli wiederum war mit seinen zweiundsechzig Jahren der Jüngste in der Runde. Er war Italoamerikaner der dritten Generation, und trotz seines Armanianzugs und der feinen Frisur strahlte er nach wie vor etwas Bedrohliches aus – ein Charakterzug, den er vermutlich von seinem Großvater geerbt hatte, einem mittellosen Einwanderer aus Kalabrien, der sich in den USA zu einem vermögenden Mann emporgekämpft hatte. Pentangeli war auch der einzige praktizierende Katholik in der Gruppe, und wie immer ergriff er als Erster das Wort.
»Haben wir ein Problem, Eminenz?«, fragte er und schob eine Zeitung über den Tisch. Es war USA Today . Auf dem Cover waren die vertrauten Bilder der Zitadelle und der drei Zivilisten zu sehen, und darüber stand die Frage, die inzwischen die ganze Welt beschäftigte:
K ENNEN S IE DAS G EHEIMNIS DER Z ITADELLE ?
»Nein«, antwortete Clementi, »es gibt kein Problem. Natürlich ist es bedauerlich, dass das ausgerechnet jetzt passiert ist, aber …«
»Bedauerlich?«, unterbrach Maybury ihn in seinem makellosen Oxfordakzent, der jedes Wort nur umso verächtlicher klingen ließ. »Seit Menschengedenken hat die Zitadelle ihre Geheimnisse bewahrt, und ausgerechnet jetzt, da eines ihrer größten unsere Investitionen direkt berührt, bekommt sie ein Leck. Das würde ich mehr als nur ›bedauerlich‹ nennen.«
»Es sind keine Geheimnisse enthüllt worden«, erklärte Clementi mit ruhiger Stimme. »Das waren schlicht Terroristen, die einen symbolischen Anschlag auf die Kirche ausüben wollten. Ich kann Ihnen versichern, dass die Überlebenden isoliert und unter ständige Beobachtung gestellt worden sind, kaum dass sie aus dem Berg gebracht worden waren. Trahpah ist eine Stadt, die ihre Existenz einzig und allein der Kirche verdankt. Wir haben großen Einfluss dort. Die Überlebenden werden in der alten geschlossenen Abteilung des Stadtkrankenhauses festgehalten. Ein Priester und ein Polizist sorgen Tag und Nacht dafür, dass ihnen niemand zu nahe kommt … vor allem nicht die Presse. Sämtliche Polizeiverhöre und alle Anwalts- und Arztgespräche sind aufgezeichnet und an mich geschickt worden. Und es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass einer der drei in der Zitadelle etwas erfahren hat, das unser Unternehmen in Gefahr bringen könnte.«
»Noch nicht«, warf Pentangeli ein. Er öffnete seinen Aktenkoffer und zog einen Aktendeckel heraus, auf dessen Vorderseite das Siegel der CIA prangte. »Sie sind nicht der Einzige mit guten Verbindungen.« Er schob die Akte über den Tisch, damit Clementi sie lesen konnte.
Es handelte sich um die Mitschrift eines vertraulichen Gesprächs zwischen einer Patientin mit Namen Liv Adamsen und einem Dr. Jussuf Kaya, dem Chef der Psychiatrie im Davlat-Hastenesi-Krankenhaus, Trahpah. Der letzte Absatz war gelb markiert.
… Die Patientin zeigt die klassischen Symptome einer posttraumatischen Amnesie, vermutlich verursacht durch ein schweres physisches oder psychologisches Trauma. Allerdings ist die Patientin körperlich robust und ansonsten psychisch klar und unbehindert. Daher sollte es mit einer Therapie und genügend Zeit möglich sein, dass sich ihr Gedächtnis wieder vollständig erholt.
»Sie ist eine tickende Zeitbombe«, erklärte Xiang mit seiner rauchigen Stimme. »Was mich betrifft, so ist mir egal, ob das Sakrament der Welt enthüllt wird oder nicht. Offen gesagt halte ich das ohnehin nur für eine Legende. Wie Sie wissen, bin ich Atheist. Was mir jedoch Kopfzerbrechen bereitet, ist die Frage, ob die Zitadelle unsere Geheimnisse bewahren kann, wenn es ihr noch nicht einmal möglich ist, ihr größtes Mysterium zu schützen.«
»Und diese Liv Adamsen ist nicht unsere einzige Sorge«, fügte Pentangeli hinzu und holte ein weiteres Dokument mit dem Stempel VERTRAULICH aus seinem Aktenkoffer.
»Subjekt Nr. 1: Kathryn Mann, achtundvierzig Jahre alt, halb Brasilianerin, halb Türkin, Präsidentin einer weltweit agierenden humanitären Organisation mit Vertretungen überall auf der Welt, Trahpah eingeschlossen. Witwe von Dr. John Mann, US-Amerikaner, Archäologe. Er wurde vor zwölf Jahren bei einer Ausgrabung im Irak zusammen mit dem Rest seines Teams getötet, nachdem er angeblich etwas in der Wüste nahe Al-Hillah entdeckt hat.«
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