Sacramentum
Pentangeli schaute zu Clementi. »Und das macht Ihnen keine Sorgen?«
Clementi schwieg.
»Subjekt Nr. 2: Gabriel Mann, zweiunddreißig, Sohn von Kathryn und John Mann. Studierte moderne Sprachen und Wirtschaftswissenschaften in Harvard, bis sein Vater ermordet wurde, woraufhin er sich zur Army gemeldet hat. Dort arbeitete er sich unter anderem nach Kampfeinsätzen in Afghanistan bis zum Platoon Sergeant der Special Airborne empor, bevor er ausmusterte und als Sicherheitsberater in das Familienunternehmen eintrat. In dieser Funktion hat er bei einer Reihe von Projekten im Irak gearbeitet, wo er auch eigene Ermittlungen zum Tod seines Vaters angestellt hat. Dreimal hat er Reisegenehmigungen nach Al-Hillah in der Provinz Babil beantragt, und jedes Mal ist sein Antrag wegen anhaltender Kämpfe dort und den daraus resultierenden Gefahren für Zivilisten abgelehnt worden.« Erneut schaute er zu Clementi. »Das klingt nach einem Mann, der noch was zu erledigen hat, und zwar unglücklicherweise in einem Gebiet, in dem auch wir Interessen haben. Und das macht uns sehr nervös.«
»Wir sind einer Meinung«, sagte Xiang. »Die Risiken, die diese Leute darstellen, sind inakzeptabel für uns. Wir haben nur begrenzten Einfluss in Trahpah, aber – wie Sie selbst gesagt haben – die Kirche hat einen wesentlich größeren. Nutzen Sie ihn, und zwar schnell, um Ihre Interessen zu wahren … und unsere.«
Clementi schaute den dreien ungerührt in die Augen. Vor einer Stunde hätte er vielleicht noch gezögert, doch als er im Archiv der Vatikanbank gestanden hatte, hatte ihn das daran erinnert, was hier auf dem Spiel stand. Das Überleben der Kirche war wichtiger als alles andere, wichtiger auch als seine Seele. Und wenn er für das, was er nun tun musste, in der Hölle schmoren würde, dann wäre es das Opfer wert. Clementi drückte einen Knopf der Telefonanlage auf dem Tisch. Wie alles in diesem Raum war die Verbindung abhörsicher. Sie konnte weder zurückverfolgt noch angezapft werden.
Rasch wählte Clementi aus dem Gedächtnis eine Nummer. Seine Finger zitterten vor Adrenalin. Dann schaltete er den Lautsprecher ein, damit die Gruppe das Gespräch verfolgen konnte. Er wollte, dass sie es bezeugten. Er wollte, dass sie zu Mittätern wurden. Während es klingelte, musterte Clementi die Gesichter der drei. Dann wurde abgenommen, und eine Stimme meldete sich:
»Ja?«
»Ich bin das Licht der Welt«, sagte Clementi. »Wer mir folgt …«
»… der wird nicht in Dunkelheit wandeln«, antwortete die Stimme und vervollständigte damit die Sicherheitsabfrage.
Clementi leckte sich die Lippen. »Ich will, dass Sie die Zeugen zum Schweigen bringen … zum Wohl der heiligen Mutter Kirche.«
Es folgte eine kurze Pause. »Alle?«
»Alle. Wie schnell ist es durchführbar?«
Im Hintergrund hörte Clementi das Quietschen von Gummisohlen auf einem PVC-Boden. »Morgen früh ist es erledigt«, sagte die Stimme. Und das Gespräch war beendet.
9
Zimmer 406, Davlat-Hastenesi-Krankenhaus
Liv schnappte sich die klobige Fernbedienung von dem Tisch neben ihrem Bett und richtete sie auf den antiken Fernseher. Minutenlang hatte sie auf ihrem Bett gelegen, langsam geatmet und gehofft, dass ihr Gedächtnis wieder zurückkehren würde. Dann fiel ihr plötzlich eines wieder ein: Als sie in Trahpah angekommen war – egal wie viele Tage das auch her sein mochte –, war der Tod ihres Bruders eine große Story gewesen. Vielleicht war er das ja immer noch. Vielleicht würden die Nachrichten ja einige der Lücken in ihrem Gedächtnis füllen.
Der Apparat knisterte, und langsam kam der Ton. Liv regelte die Lautstärke herunter, um die Wachen im Gang nicht zu alarmieren. Der Fernseher war alt und das Bild undeutlich, aber das Eingangssignal war modern genug, und so gab es Hunderte von Sendern. Liv ging sie auf der Suche nach einem Nachrichtenkanal der Reihe nach durch. Sie war sicher, dass sie sich schon erinnern würde, wenn sie erst einmal ein paar Fakten zur Verfügung hatte. Sie schaltete von einer Talkshow zur nächsten, immer wieder unterbrochen von der ein oder anderen nachmittäglichen Seifenoper, bis sie schließlich Al Jazeera fand, den arabischen Nachrichtensender … Doch was sie sah, war nicht, was sie erwartet hatte.
Zuerst glaubte Liv, sich beim Senderlogo geirrt zu haben und eine Extremwettershow zu schauen. Da waren furchtbare Bilder eines Tsunamis in Chile zu sehen, der durch die Hauptstraße einer Stadt raste und Menschen, Fahrzeuge und
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