Sacramentum
Absicht, das noch einmal eingehender zu studieren und in Erfahrung zu bringen, um was für eine Sprache es sich handelte; doch ich bin nie dazu gekommen. Kurz darauf habe ich erfahren, dass man meine Anwesenheit in der Zitadelle vermutete; also habe ich die Schieferbruchstücke gestohlen und bin geflohen. Ich hätte auch die Sternenkarte mitgenommen, doch sie war zu schwer. Ich wusste, sollte ich mit diesem Gewicht versuchen, durch den Graben zu schwimmen, ich wäre gesunken. Deshalb habe ich einfach das getan, was mir auf die Schnelle eingefallen ist: Ich habe sie versteckt.
Ich wollte nicht, dass die Sancti und ihresgleichen von dem Wissen profitierten, das die Sternenkarte enthielt, und so habe ich sie an einen Ort gebracht, wo sie sie vermutlich nicht finden würden. Nun hoffe ich, dass sie noch immer dort liegt und dass du nun freien Zugang zur Zitadelle hast, nachdem die erste Prophezeiung sich erfüllt hat. Mit Hilfe der Wegbeschreibung, die ich dir geben werde, solltest du sie finden können.
Kathryn schaute sich die nächste leere Seite an. Da war noch mehr, doch sie hatte keine Zeit gehabt, es freizulegen.
Sie blätterte zu den ersten Symbolen zurück, die sie enthüllt hatte, und las noch einmal die ersten paar Zeilen.
Der Schlüssel öffnet das Sakrament
Das Sakrament wird der Schlüssel
Und die Erde wird erzittern
Der Schlüssel muss der Sternenkarte heimfolgen
Um dort innerhalb einer vollen Mondphase das
Drachenfeuer zu löschen
Eine volle Mondphase dauerte achtundzwanzig Tage. Angenommen die Evakuierung der Sancti aus dem Berg markierte den Augenblick der Befreiung für das Sakrament, dann waren bereits zehn Tage vergangen. Kathryn las den Rest der Prophezeiung mit wachsender Furcht.
Denn sonst wird der Schlüssel vergehen; die Erde wird
zerbrechen, und eine große Plage wird das Ende
aller Zeiten ankündigen
Sie dachte an die Krankheit, die die Sancti heimgesucht hatte. Könnte das die Plage sein, von der hier die Rede war? Im Chaos der Notaufnahme, als sie selbst ebenfalls eingeliefert worden war, hatte sie kurz gesehen, was die Krankheit den Mönchen angetan hatte: die geschwärzte Haut, die blutroten Augen, das Bluten. Wenn diese Krankheit sich auf der Welt verbreitete, dann wäre das wie die düsterste Vision aus der Offenbarung des Johannes, und alle Menschen würden in Abbilder von Dämonen verwandelt. Kathryn schaute auf die leere Seite. Sie gierte förmlich danach zu erfahren, was dort noch geschrieben stand. Es würde jedoch noch einen ganzen Tag lang dauern, bis die Sonne wieder durch ihr Fenster fiel, und eine derartige Verzögerung konnte sie sich nicht leisten. Schon jetzt spürte sie die Last der Informationen, die sie gerade erlangt hatte, auf ihren Schultern und auch den Frust zu wissen, dass alles Weitere hier mit ihr im Zimmer war. Und die Uhr lief bereits.
Zehn Tage waren schon vorbei.
Achtzehn blieben noch.
22
Die Aufzugtür öffnete sich, und Liv wurde von Panik übermannt. Nachdem sie tagelang de facto isoliert gewesen war, war der Lärm und die schiere Masse der Menschen in der Lobby einfach überwältigend für sie. Sie hatte eine Baseballkappe in ihrer Tasche gefunden, und die zog sie sich nun ins Gesicht, um ihr Gesicht ein wenig zu verbergen. Dann zwang sie sich, den Lift zu verlassen und über den alten Mosaikfußboden zur Rezeption zu gehen. Dabei ließ sie hilfesuchend den Blick über die Schilder an der Wand wandern, doch die waren allesamt auf Türkisch.
»Wo können Patienten ihr Eigentum abholen?«, fragte sie die Rezeptionistin.
Ein klauenartiger Finger deutete auf eine Tür neben dem Haupteingang. Liv ging dorthin und warf im Vorübergehen kurz einen Blick hinaus. Es hatte geregnet, und das Licht der niedrigstehenden Sonne fiel auf den nassen Bürgersteig. Ein Ü-Wagen parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und ein Kameramann und ein Moderator saßen im Führerhaus, rauchten und redeten, während sie darauf warteten, dass etwas geschah. Liv wollte jedoch nicht überfallen werden und in den Abendnachrichten landen. Sie musste unter dem Radar bleiben – zumindest vorläufig. Aber sicherlich gab es noch einen anderen Weg hinaus.
Das Büro, wo die Besitztümer von Patienten aus der Notaufnahme verwaltet und aufbewahrt wurden, war schmal und tief, mit langen Regalen im hinteren Teil. Auf jeder ebenen Oberfläche stapelten sich Unmengen von Papier, und eine schmale Theke teilte den Raum. Dahinter saß ein junger, gelangweilt aussehender Mann, der
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