Sacramentum
… nein … eine Sekunde … Miss Adamsen ist heute entlassen worden.«
»Wann?«
»Das steht hier nicht. Nur dass ihr Zimmer jetzt wieder zur Verfügung steht.«
»Hatte sie Besuch?«
Es folgte eine kurze Pause. »Was hat das mit einer Blumenlieferung zu tun?«
»Sie sind bereits geschickt worden. Ich will nur wissen, ob sie sie noch bekommen hat.«
Wieder Tippen.
»Hier steht nur etwas von einem Besuch der Polizei heute Nachmittag.«
»Danke.«
Gabriel legte auf. Seine Gedanken überschlugen sich. Er wechselte wieder zu dem Browser und gab TRAHPAH POLIZEI in die Suchmaschine ein. Unter dem ersten Ergebnis stand eine Telefonnummer. Gabriel wählte sie und hielt sich das iPhone ans Ohr.
»Polizeipräsidium Trahpah.«
»Hallo, könnten Sie mich bitte zu Inspektor Arkadian im Morddezernat durchstellen?«
»Inspektor Arkadian ist im Augenblick nicht im Dienst.«
»Können Sie mich dann vielleicht mit seinem Handy verbinden?«
»Ich fürchte, das geht nicht, mein Herr. Kann Ihnen vielleicht sonst jemand im Morddezernat helfen?«
»Nein. Ich muss mit Inspektor Arkadian persönlich sprechen. Es ist äußerst dringend.« Gabriel dachte kurz nach. »Sagen Sie ihm, Gabriel Mann wolle reden. Ich bin heute aus dem Polizeigewahrsam geflohen und will mich jetzt stellen … aber nur Inspektor Arkadian, und nur , wenn er mich in den nächsten fünf Minuten zurückruft.«
29
Die Flughafenbuchhandlung bot die übliche Literatur für den gelangweilten Flugreisenden. Liv ging zu einem Regal mit Sprachreiseführern am Kassenschalter, überflog die Titel und nahm jeden mit einem ungewöhnlichen Alphabet heraus. Sie wollte sich selbst beweisen, dass das Wort, das sie im Kopf gehört hatte, schlicht das Echo von etwas war, das sie im Stimmengewirr des Flughafens aufgeschnappt hatte. Wenn sie herausfand, um was für eine Sprache es sich handelte, dann bräuchte sie sich auf dem Heimflug keine Gedanken darüber zu machen, dass sie vielleicht wahnsinnig wurde. Als sie schließlich das untere Ende des Regals erreichte, hielt sie acht Bücher in der Hand. Sie schlug das erste auf, Arabisch, blätterte zum S und suchte nach dem Wort für ›Schlüssel‹. Sie fand es und verglich die Übersetzung mit den Symbolen auf ihrer Hand. Die waren sich noch nicht einmal ähnlich. Dann machte sie sich über die anderen sieben Bücher her und arbeitete sich durch Russisch, Griechisch und Chinesisch. Nichts davon passte.
Verdammt.
Liv stellte die Bücher wieder zurück und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als etwas auf dem Nachbarregal ihre Aufmerksamkeit erregte. Es war ein Buch mit dem Bild einer Steintafel auf dem Cover, und auf dieser Tafel waren schwach Symbole zu erkennen. Es waren zwar nicht die gleichen Zeilen, die Liv sich auf die Hand geschrieben hatte, aber nah dran. Liv griff nach dem Buch, schlug es auf und stellte fest, dass es kein Sprachreiseführer war: Es war ein Geschichtsbuch. Der Klappentext war der nächste Schock. Das Foto auf dem Cover zeigte eine fünftausend Jahre alte sumerische Steintafel, die mit einer schon lange toten Sprache beschrieben war. Das konnte sie unmöglich hier am Flughafen aufgeschnappt haben. Auf der Suche nach Bildern von anderen antiken Texten blätterte Liv durch das Buch. Sie wollte gerade aufgeben und zum Flugzeug rennen, als sie etwas fand. Es war das Bild eines Steinzylinders mit einem Loch in der Mitte. Darunter lag ein breiter Streifen nasser Lehm, wo der Zylinder einen Text hinterlassen hatte, nachdem er darüber gerollt worden war.
Und dieser Text sah genau so aus wie die Symbole auf Livs Hand.
Unter dem Bild stand, dass es sich bei dem Abgebildeten um ein sogenanntes Rollsiegel handele, eine antike Methode zur Vervielfältigung von Texten. Wenn man einen Stab in das Loch steckte, konnte man es über feuchte Erde oder Lehm rollen und so den Text zum Vorschein bringen, der darin eingraviert war. Oft handelte es sich bei diesen Texten um Zauber, die man an den Rändern von Kornfeldern vergrub, um eine gute Ernte zu erwirken. Was auf diesem speziellen Siegel stand, wusste jedoch niemand. Es war in einer Schriftform geschrieben, die die Wissenschaft ›Proto-Keilschrift‹ nannte, oder poetischer ausgedrückt die ›Verlorene Schrift der Götter‹, wegen ihres hohen Alters und der Tatsache, dass niemand sie mehr lesen konnte.
Na toll , dachte Liv, jetzt höre ich also Stimmen in einer Sprache, die seit fast sechstausend Jahren niemand mehr spricht. So viel zum Thema
Weitere Kostenlose Bücher