Sacramentum
kauerte er neben einem schlammigen Teich in einer der Oasen, die von den Hirten genutzt wurden, und füllte seine Wasserflasche. Seine ausgeblichene rote Kappe stach deutlich aus dem Schwarz und Braun der Ziegenherde hervor. Er trug eine AK-47 auf dem Rücken, und eine Beretta steckte in dem Ledergürtel, der seine lange weiße Dishdasha zusammenhielt.
Ahmar hob den Blick, als er das näher kommende Pferd hörte. Zum Schutz vor der Sonne hatte er die Augen zusammengekniffen, und sein ledriges Gesicht war voller Falten. Sein Alter war schwer einzuschätzen. Er hätte alles sein können, von dreißig bis hundert.
»Nette Waffe«, bemerkte der Geist und deutete auf die Beretta.
Der Klang der ruinierten Stimme ließ den Mann sein Gegenüber erkennen, und auf seinem Gesicht zeichnete sich eine Mischung aus Furcht und Misstrauen ab. »Ich habe sie nicht gestohlen«, erklärte er, und seine Hand wanderte zu der Waffe, jedoch eher, um sie zu verstecken, und nicht, um sie zu ziehen. »Ich habe sie getauscht.«
Der Geist ließ sich aus dem Sattel gleiten. »Ich weiß«, sagte er und griff langsam in die Satteltasche. Er holte ein rotes Bündel heraus, packte es aus und enthüllte den Stein mit den Symbolen in Form eines Tau. »Ich will auch tauschen.« Ahmar hörte ihn kaum. Er war viel zu fasziniert von dem roten Tuch, in das der Stein gewickelt gewesen war.
Er streckte die Hand nach dem Trikot von Manchester United aus, hielt dann jedoch inne. Plötzlich hatte er Angst vor dem, was der Geist für diesen magischen Gegenstand von ihm verlangen würde. »Und was willst du tauschen?«
»Nur eine Information. Dieser Stein … Wo hast du ihn gefunden?«
Ahmar dachte kurz nach und lächelte dann breit. In seinem Mund fehlten fast alle Zähne. »Ich werde es dir zeigen«, sagte er und trat eine Ziege beiseite.
Er strich ein Stück Schlamm mit der Hand glatt und riss einen Schilfhalm vom Rand des Teichs. Damit malte er dann vierzehn Punkte in den Schlamm, die zusammen eine Schlange zu bilden schienen. Wie alle Beduinen, so orientierte sich auch der Ziegenhirte an den Sternen. Die Wüste veränderte sich ständig, und es gab so gut wie keine beständigen Landmarken, doch die Sterne waren unveränderlich. Der Geist orientierte sich auch an ihnen, und so erkannte er die Konstellation sofort. Das war Draco, der wachsame Drache, den die Beduinen die Schlange nannten. Ahmar deutete auf die vier Punkte, die den Kopf repräsentierten, und fuhr mit den Fingern über den Rücken der Schlange, bis er den Horizont erreichte. »Folge der Schlange«, sagte er. »Halte dich links vom Geißbock. Drei Tage grasen, ein Tag zu Pferd … Da habe ich diesen Stein gefunden.«
›Geißbock‹ war der Beduinenname für den Polarstern. Wenn der Geist sich links davon hielt, dann ging es Richtung Nordwesten und damit tief in die Syrische Wüste hinein. Er hatte genug Vorräte in der Satteltasche für mindestens einen Tag, vielleicht auch für drei, wenn er sie sich gut einteilte und dem Pferd die größte Hitze des Tages ersparte.
Ahmar hockte sich wieder hin, um sich den Schlamm von der Hand zu waschen. Dann trocknete er sie an seiner Dishdasha ab und streckte sie erwartungsvoll aus. Der Geist gab ihm das Trikot von Manchester United und schaute zu, wie Ahmar es sich über den Kopf zog. Und kaum hatte der Ziegenhirte es angezogen, da lief er ins Hauptlager zurück, rief nach den anderen Hirten und breitete die Arme aus, als hätte er gerade ein Tor erzielt.
Der Geist stieg wieder auf sein Pferd und wandte sich dem Horizont zu. Im Osten wurde es dunkel, und die hellsten Sterne waren bereits zu sehen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis es auch im Westen dunkel wurde, wo Draco lebte, der Drache, und den Weg in die Wüste wies, wie er es schon von Anbeginn der Zeit getan hatte.
Ein Tagesritt hatte Ahmar gesagt.
Der Geist trieb sein Pferd an und ritt fort vom Gestank der Ziegen und den Schatten der Oase.
Mit Hilfe des Mondes würde er es vielleicht noch vor Sonnenaufgang schaffen.
27
Gaziantep ist der größere der beiden Flughäfen, die nicht weit entfernt von der Stadt liegen. Er befindet sich nördlich der Stadt, näher am Taurusgebirge und an Trahpah, was ihn zum natürlichen Ziel für die meisten Touristen macht. Oder zumindest hatte das der Taxifahrer Liv bei ihrer Ankunft erzählt. Aber wie auch immer, viele Touristen bedeutete viele Flüge, und das war alles, was sie jetzt noch interessierte.
Liv hatte Glück. Sie bekam ein
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