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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Gesicht. Ich weiß in meinem Elend, dass das Fleisch Fehler begeht, aber das Herz Verbrechen. Was man in der Hitze der Liebe tut, verdient Mitleid.
    DIE TOCHTER
    Mitleid für läufige Hündinnen!
    DIE FRAU
    Ja! Denn sie haben einen Leib, um zu genießen und zu gebären!
    DER RICHTER
    Frau, das ist ein miserables Plädoyer! Ich werde den Mann denunzieren, der diesen Ärger verursacht hat, und umso lieber, als ich es im Namen des Gesetzes und des Hasses zugleich tun werde.
    VICTORIA
    Weh dir, da sagst du die Wahrheit! Du folgst in deinen Urteilen immer nur deinem Hass und nennst ihn Gesetz. Sogar die besten Gesetze bekommen einen üblen Beigeschmack in deinem Mund, einem ätzenden Mund, der nie geliebt hat. Ah! Mir wird schlecht! Komm, Diego, nimm uns alle in die Arme, dass wir zusammen untergehen. Aber ihn lass leben, für ihn ist das Leben eine Strafe.
    DIEGO
    Lass mich. Ich schäme mich zu sehen, was aus uns geworden ist.
    VICTORIA
    Ich schäme mich auch. Ich könnte sterben vor Scham.
    ( DIEGO springt unerwartet aus dem Fenster. Der RICHTER springt zum Fenster. VICTORIA flieht durch eine verborgene Tür.)
    DIE FRAU
    Es ist Zeit, dass die Beulen aufplatzen. Wir sind nicht die Einzigen. Die ganze Stadt hat dasselbe Fieber.
    DER RICHTER
    Hündin!
    DIE FRAU
    Richter!
    (Dunkel. Licht auf die Friedhofsverwaltung. NADA und der BÜRGERMEISTER bereiten sich zum Aufbruch vor.)
    NADA
    An alle Distriktskommandanten ist Order ergangen, dafür zu sorgen, dass die ihnen unterstellten Bürger für die neue Regierung stimmen.
    DER BÜRGERMEISTER
    Das ist nicht leicht. Der eine oder andere könnte dagegen stimmen!
    NADA
    Nein, nicht, wenn Sie nach den geltenden Grundsätzen verfahren!
    DER BÜRGERMEISTER
    Geltende Grundsätze?
    NADA
    Nach den geltenden Grundsätzen ist die Wahl frei. Das heißt, die Stimmen für die Regierung gelten als freiwillig abgegeben. Was die übrigen angeht, so müssen etwaige unbekannte Hindernisse ausgeräumt werden, die die freie Wahl womöglich eingeschränkt haben, folglich werden sie gemäß der Präferenzmethode abgezogen, indem der Anteil der Panaschierungen ebenso wie die nicht abgegebenen Voten zu einem Drittel der eliminierten Stimmen ins Verhältnis gesetzt werden. Ist das klar?
    DER BÜRGERMEISTER
    Klar, nun ja … Gut, ich glaube, ich habe verstanden.
    NADA
    Ich bewundere Sie, Bürgermeister. Aber ganz gleich, ob Sie es verstanden haben oder nicht, vergessen Sie nicht, das Ergebnis dieser Methode muss unverbrüchlich darin bestehen, dass die Stimmen gegen die Regierung nicht zählen.
    DER BÜRGERMEISTER
    Aber Sie sagen doch, die Wahl ist frei?
    NADA
    Natürlich ist sie das. Wir gehen allerdings von dem Prinzip aus, dass eine Gegenstimme nicht frei, sondern sentimental, also von Leidenschaften bestimmt, abgegeben wurde.
    DER BÜRGERMEISTER
    Daran habe ich nicht gedacht!
    NADA
    Weil Ihnen die rechte Vorstellung von Freiheit fehlt.
    (Licht auf die Bühnenmitte. DIEGO und VICTORIA kommen gelaufen und halten vorn an der Bühne.)
    DIEGO
    Ich will fliehen, Victoria. Ich weiß nicht mehr, worin meine Pflicht besteht. Ich verstehe es nicht.
    VICTORIA
    Verlass mich nicht. Die Pflicht ist bei denen, die man liebt. Halt durch.
    DIEGO
    Aber ich bin zu stolz, um dich zu lieben, ohne mich zu achten.
    VICTORIA
    Was hindert dich daran, dich zu achten?
    DIEGO
    Du, weil du nicht schwach wirst.
    VICTORIA
    Rede nicht so, um unserer Liebe willen, oder ich werfe mich vor dir hin und zeige dir, wie feige ich bin. Du hast unrecht. Ich bin nicht stark. Ich bin schwach, so schwach, wenn ich an die Zeit denke, als ich bei dir Ruhe fand. Wohin ist die Zeit, als mir das Herz voll wurde, wenn ich deinen Namen hörte? Wo ist die Zeit, als eine Stimme in mir «Land in Sicht» rief, wenn du kamst? Ja, ich bin schwach, ich könnte sterben an dieser feigen Sehnsucht. Nur noch die Kraft der Liebe hält mich am Laufen. Aber wenn du weggehst, wenn mein Lauf endet, dann stürze ich.
    DIEGO
    Ach, könnte ich mich wenigstens mit dir verbinden und eng umschlungen in einem tiefen, endlosen Schlaf versinken!
    VICTORIA
    Hier bin ich.
    (Er geht langsam auf sie zu und sie auf ihn, beide lassen einander nicht aus den Augen. Kurz bevor sie einander erreichen, tritt die SEKRETÄRIN zwischen sie.)
    DIE SEKRETÄRIN
    Was ist hier los?
    VICTORIA (schreiend)
    Liebe, was sonst!
    (Schrecklicher Lärm vom Himmel.)
    DIE SEKRETÄRIN
    Psst! Manche Worte dürfen nicht ausgesprochen werden. Sie sollten wissen, dass dieses verboten ist. Schauen Sie. (Sie

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