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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Herz. Sie weigert sich, selber ihr Almosen zu den Armen zu bringen. Sie hat Angst, sie zu berühren. Ist das nicht ungerecht? Sie ist ungerecht. Er hat die Bauern wenigstens geliebt. Er hat mit ihnen getrunken. Und du hast ihn getötet. Du bist auch ungerecht, das ist sicher. Die Erde ist verwaist.
    KALJAJEW
    Sparen Sie sich die Mühe. Sie versuchen, meine Kraft zu schwächen und mich zur Verzweiflung zu treiben. Das wird Ihnen nicht gelingen. Lassen Sie mich allein.
    GROSSFÜRSTIN
    Willst du nicht mit mir beten, deine Reue bekunden? Dann sind wir nicht mehr so allein.
    KALJAJEW
    Lassen Sie mich allein, ich bereite mich auf den Tod vor. Nur wenn ich nicht sterben sollte, wäre ich ein Mörder.
    GROSSFÜRSTIN (richtet sich auf)
    Sterben? Du willst sterben? Nein.
    (Geht auf KALJAJEW zu; höchst erregt) Du musst leben und damit leben, dass du ein Mörder bist. Hast du nicht getötet? Nur Gott kann dich lossprechen.
    KALJAJEW
    Welcher Gott, Ihrer oder meiner?
    GROSSFÜRSTIN
    Der Gott der heiligen Mutter Kirche.
    KALJAJEW
    Die hat hier nichts zu suchen.
    GROSSFÜRSTIN
    Sie dient einem Herrn, der ebenfalls das Gefängnis erlitten hat.
    KALJAJEW
    Die Zeiten haben sich geändert. Die heilige Kirche hat sich aus dem Erbe ihres Herrn ausgesucht, was ihr passt.
    GROSSFÜRSTIN
    Ausgesucht, wie meinst du das?
    KALJAJEW
    Sie behält die Gnade für sich und überlässt es uns, Nächstenliebe zu üben.
    GROSSFÜRSTIN
    Wem uns?
    KALJAJEW (schreit)
    Allen, die Sie hängen lassen.
    (Schweigen.)
    GROSSFÜRSTIN (sanft)
    Ich bin nicht Ihre Feindin.
    KALJAJEW
    Sie sind es, wie alle Ihresgleichen. Es gibt etwas noch Abscheulicheres, als ein Verbrecher zu sein, nämlich jemanden zum Verbrechen zu zwingen, der nicht dafür geschaffen ist. Schauen Sie mich an. Ich schwöre, dass ich nicht zum Töten geschaffen war.
    GROSSFÜRSTIN
    Sprechen Sie nicht zu mir, als wäre ich Ihre Feindin. Schauen Sie.
    (Sie geht die Tür schließen.) Ich liefere mich Ihnen aus, schutzlos. (Weint) Das Blut steht zwischen uns. Aber Sie können sich in Gott mit mir verbinden, dort, wo alles Unglück aufgehoben ist. Beten Sie wenigstens mit mir.
    KALJAJEW
    Nein. (Geht auf sie zu) Ich bin voller Mitgefühl für Sie, und Sie haben mein Herz berührt. Gleich werden Sie mich verstehen, weil ich Ihnen nichts verheimlichen werde. Ich zähle nicht mehr auf die Begegnung mit Gott. Aber wenn ich sterbe, werde ich pünktlich zur Stelle sein bei denen, die ich liebe, meinen Brüdern, die in diesem Augenblick an mich denken. Beten hieße sie verraten.
    GROSSFÜRSTIN
    Wie meinen Sie das?
    KALJAJEW (überschwänglich)
    Nichts, nur, dass ich glücklich sein werde. Ich habe einen langen Kampf zu bestehen, und ich werde ihn bestehen. Aber wenn das Urteil gesprochen ist und die Hinrichtung bevorsteht, dann, am Fuße des Galgens, werde ich mich von Ihnen und dieser erbärmlichen Welt abwenden und mich ganz der Liebe überlassen, die mich erfüllt. Verstehen Sie mich?
    GROSSFÜRSTIN
    Es gibt keine Liebe fern von Gott.
    KALJAJEW
    Doch. Die Liebe zur Kreatur.
    GROSSFÜRSTIN
    Die Kreatur ist verdorben. Was kann man anderes tun, als sie zu vernichten oder ihr zu verzeihen?
    KALJAJEW
    Mit ihr sterben.
    GROSSFÜRSTIN
    Man stirbt allein. Er ist allein gestorben.
    KALJAJEW (verzweifelt)
    Mit ihr sterben! Diejenigen, die sich heute lieben, müssen gemeinsam sterben, wenn sie beieinander sein wollen. Die Ungerechtigkeit trennt sie, die Scham, der Schmerz, das, was man anderen antut, das Verbrechen trennt. Leben ist eine Folter, denn zu leben trennt.
    GROSSFÜRSTIN
    Gott vereint.
    KALJAJEW
    Nicht auf Erden. Und meine Begegnungen finden hier auf Erden statt.
    GROSSFÜRSTIN
    Das sind Begegnungen der Hunde, die Nase am Boden, immer schnüffelnd, immer enttäuscht.
    KALJAJEW (zum Fenster gedreht)
    Bald werde ich es wissen.
    (Pause.)
    Aber kann man sich nicht jetzt schon vorstellen, dass zwei Menschen auf alle Freuden verzichten, sich im Schmerz lieben und auf keine andere Begegnung mehr hoffen können als im Schmerz?
    (Schaut sie an) Kann man sich nicht vorstellen, dass der Strick diese beiden Menschen vereint?
    GROSSFÜRSTIN
    Was für eine schreckliche Liebe ist das?
    KALJAJEW
    Die einzige, die Sie und Ihresgleichen je erlaubt haben.
    GROSSFÜRSTIN
    Ich habe auch den geliebt, den Sie getötet haben.
    KALJAJEW
    Das habe ich verstanden. Deswegen verzeihe ich Ihnen das, was Sie und Ihresgleichen mir angetan haben.
    (Pause.)
    Lassen Sie mich jetzt allein.
    (Lange Pause.)
    GROSSFÜRSTIN (richtet sich

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