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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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nicht fertigbringt, Kinder zu töten, verdient sie es dann, dass man einen Großfürsten umbringt?
    ( KALJAJEW macht eine Bewegung.)
    Oh! Antworten Sie nicht, jedenfalls nicht mir! Der Großfürstin werden Sie antworten.
    KALJAJEW
    Der Großfürstin?
    SKURATOW
    Ja, sie wünscht Sie zu sehen. Und ich bin vor allem gekommen, um festzustellen, ob ein solches Gespräch möglich ist. Es ist. Vielleicht kann es Sie sogar umstimmen. Die Großfürstin ist Christin. Die Seele, wissen Sie, ist ihr Spezialgebiet. (Er lacht.)
    KALJAJEW
    Ich will sie nicht sehen.
    SKURATOW
    Bedaure, sie besteht darauf. Und schließlich sind Sie ihr eine gewisse Zuvorkommenheit schuldig. Es heißt auch, seit dem Tod ihres Mannes habe ihr Verstand ein wenig gelitten. Wir wollten ihr nicht widersprechen.
    (Von der Tür aus) Falls Sie Ihre Meinung ändern sollten, vergessen Sie mein Angebot nicht. Ich komme wieder.
    (Pause. Er lauscht.)
    Da ist sie. Nach der Polizei die Religion! Sie werden wirklich verwöhnt. Aber alles hängt zusammen. Stellen Sie sich Gott ohne Gefängnisse vor. Welche Einsamkeit!
    (Er geht ab. Man hört Stimmen und Befehle. Die GROSSFÜRSTIN kommt herein und bleibt reglos und stumm stehen. Die Tür ist weiterhin geöffnet.)
    KALJAJEW
    Was wollen Sie von mir?
    GROSSFÜRSTIN (schlägt den Schleier hoch)
    Schau.
    ( KALJAJEW schweigt.)
    Viele Dinge sterben zusammen mit einem Menschen.
    KALJAJEW
    Das habe ich gewusst.
    GROSSFÜRSTIN (natürlich, aber mit leiser, erschöpfter Stimme)
    Mörder wissen das nicht. Wenn sie es wüssten, wie könnten sie dann töten?
    (Pause.)
    KALJAJEW
    Ich habe Sie gesehen. Ich möchte jetzt allein sein.
    GROSSFÜRSTIN
    Nein. Ich muss dich auch noch ansehen.
    ( KALJAJEW weicht zurück. Die GROSSFÜRSTIN setzt sich, als wäre sie müde.)
    Ich halte es nicht mehr aus, allein zu sein. Früher, wenn es mir nicht gutging, dann konnte er es sehen. Dann war es schön, dass es mir nicht gutging. Aber jetzt … Nein, ich konnte nicht mehr allein sein, schweigen … Aber mit wem soll ich reden? Die anderen wissen nichts. Sie tun so, als wären sie traurig. Sie sind es vielleicht auch, für eine Stunde oder zwei. Dann gehen sie essen und ins Bett. Vor allem ins Bett. Ich dachte, dir muss es gehen wie mir. Du kannst nicht schlafen, da bin ich sicher. Und mit wem soll man über den Mord reden, wenn nicht mit dem Mörder?
    KALJAJEW
    Was für ein Mord? Ich erinnere mich nur an einen Akt der Gerechtigkeit.
    GROSSFÜRSTIN
    Die gleiche Stimme! Du hast die gleiche Stimme wie er. Alle Männer fallen in den gleichen Ton, wenn sie von der Gerechtigkeit sprechen. Er sagte: «Das ist gerecht!», und dann gab es keinen Widerspruch. Vielleicht irrte er sich, vielleicht hast du dich geirrt …
    KALJAJEW
    Er verkörperte die höchste Ungerechtigkeit, unter der das russische Volk seit Jahrhunderten stöhnt. Als Lohn empfing er endlose Privilegien. Selbst wenn ich mich geirrt haben sollte, Gefängnis und Tod sind mein Lohn.
    GROSSFÜRSTIN
    Ja, du leidest. Aber du hast ihn getötet.
    KALJAJEW
    Er ist überraschend gestorben. Ein solcher Tod ist nicht schwer.
    GROSSFÜRSTIN
    Nicht schwer? (Leiser) Nun ja, man hat dich sofort abgeführt. Es heißt, du hättest den Polizisten noch Reden gehalten. Ich verstehe. Das hat dir wahrscheinlich geholfen. Ich aber bin ein paar Sekunden später gekommen. Ich habe es gesehen. Ich habe alles, was ich finden konnte, auf eine Bahre gelegt. So viel Blut!
    (Pause.)
    Ich trug ein weißes Kleid …
    KALJAJEW
    Seien Sie still.
    GROSSFÜRSTIN
    Warum? Ich sage die Wahrheit. Weißt du, was er zwei Stunden vor seinem Tod tat? Er schlief. In seinem Sessel, die Füße auf einem Stuhl, so wie immer. Er schlief, und du hast schon auf ihn gewartet, an diesem grausamen Abend … (Weint) Hilf mir jetzt.
    ( KALJAJEW weicht erstarrt zurück.)
    Du bist jung. Du kannst nicht schlecht sein.
    KALJAJEW
    Ich hatte keine Zeit, jung zu sein.
    GROSSFÜRSTIN
    Warum bist du so erstarrt? Tust du dir nie selber leid?
    KALJAJEW
    Nein.
    GROSSFÜRSTIN
    Das ist verkehrt. Es erleichtert. Ich habe nur noch Mitleid für mich selber.
    (Pause.)
    Es tut so weh. Du hättest mich zusammen mit ihm töten sollen, statt mich zu verschonen.
    KALJAJEW
    Ich habe nicht Sie verschont, sondern die Kinder, die bei Ihnen waren.
    GROSSFÜRSTIN
    Ich weiß. Ich mag sie nicht besonders.
    (Pause.)
    Es sind Neffe und Nichte des Großfürsten. Tragen sie nicht dieselbe Schuld wie er?
    KALJAJEW
    Nein.
    GROSSFÜRSTIN
    Kennst du sie? Meine Nichte hat kein gutes

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