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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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und zackigen Zinnen.
    Sie trug eine weiße Tunika,
    Bis an die Waden reichend.
    Und welche Waden! Das Fußgestell
    Zwei dorischen Säulen gleichend.
    Die weltlichste Natürlichkeit
    Konnt man in den Zügen lesen;
    Doch das übermenschliche Hinterteil
    Verriet ein höheres Wesen.
    Sie trat zu mir heran und sprach:
    »Willkommen an der Elbe
    Nach dreizehnjähr’ger Abwesenheit –
    Ich sehe, du bist noch derselbe!
    Du suchst die schönen Seelen vielleicht,
    Die dir so oft begegent
    Und mit dir geschwärmt die Nacht hindurch,
    In dieser schönen Gegend.
    Das Leben verschlang sie, das Ungetüm,
    Die hundertköpfige Hyder;
    Du findest nicht die alte Zeit
    Und die Zeitgenössinnen wieder!
    Du findest die holden Blumen nicht mehr,
    Die das junge Herz vergöttert;
    Hier blühten sie – jetzt sind sie verwelkt,
    Und der Sturm hat sie entblättert.
    Verwelkt, entblättert, zertreten sogar
    Von rohen Schicksalsfüßen –
    Mein Freund, das ist auf Erden das Los
    Von allem Schönen und Süßen!«
    »Wer bist du?« – rief ich – »du schaust mich an
    Wie’n Traum aus alten Zeiten –
    Wo wohnst du, großes Frauenbild?
    Und darf ich dich begleiten?«
    Da lächelte das Weib und sprach:
    »Du irrst dich, ich bin eine feine,
    Anständ’ge, moralische Person;
    Du irrst dich, ich bin nicht so eine.
    Ich bin nicht so eine kleine Mamsell,
    So eine welsche Lorettin –
    Denn wisse: ich bin Hammonia,
    Hamburgs beschützende Göttin!
    Du stutzest und erschreckst sogar,
    Du sonst so mutiger Sänger!
    Willst du mich noch begleiten jetzt?
    Wohlan, so zögre nicht länger.«
    Ich aber lachte laut und rief:
    »Ich folge auf der Stelle –
    Schreit du voran, ich folge dir,
    Und ging’ es in die Hölle!«
    Caput XXIV
    Wie ich die enge Sahltrepp’ hinauf-
    Gekommen, ich kann es nicht sagen;
    Es haben unsichtbare Geister mich
    Vielleicht hinaufgetragen.
    Hier, in Hammonias Kämmerlein,
    Verflossen mir schnell die Stunden.
    Die Göttin gestand die Sympathie,
    Die sie immer für mich empfunden.
    »Siehst du« – sprach sie –, »in früherer Zeit
    War mir am meisten teuer
    Der Sänger, der den Messias besang
    Auf seiner frommen Leier.
    Dort auf der Kommode steht noch jetzt
    Die Büste von meinem Klopstock,
    Jedoch seit Jahren dient sie mir
    Nur noch als Haubenkopfstock.
    Du bist mein Liebling jetzt, es hängt
    Dein Bildnis zu Häupten des Bettes;
    Und, siehst du, ein frischer Lorbeer umkränzt
    Den Rahmen des holden Porträtes.
    Nur daß du meine Söhne so oft
    Genergelt, ich muß es gestehen,
    Hat mich zuweilen tief verletzt;
    Das darf nicht mehr geschehen.
    Es hat die Zeit dich hoffentlich
    Von solcher Unart geheilet,
    Und dir eine größere Toleranz
    Sogar für Narren erteilet.
    Doch sprich, wie kam der Gedanke dir,
    Zu reisen nach dem Norden
    In solcher Jahrzeit? Das Wetter ist
    Schon winterlich geworden!«
    »Oh, meine Göttin!« – erwiderte ich –
    »Es schlafen tief im Grunde
    Des Menschenherzens Gedanken, die oft
    Erwachen zur unrechten Stunde.
    Es ging mir äußerlich ziemlich gut,
    Doch innerlich war ich beklommen,
    Und die Beklemmnis täglich wuchs –
    Ich hatte das Heimweh bekommen.
    Die sonst so leichte französische Luft,
    Sie fing mich an zu drücken;
    Ich mußte Atem schöpfen hier
    In Deutschland, um nicht zu ersticken.
    Ich sehnte mich nach Torfgeruch,
    Nach deutschem Tabaksdampfe;
    Es bebte mein Fuß vor Ungeduld,
    Daß er deutschen Boden stampfe.
    Ich seufzte des Nachts, und sehnte mich,
    Daß ich sie wiedersähe,
    Die alte Frau, die am Dammtor wohnt;
    Das Lottchen wohnt in der Nähe.
    Auch jenem edlen alten Herrn,
    Der immer mich ausgescholten
    Und immer großmütig beschützt, auch ihm
    Hat mancher Seufzer gegolten.
    Ich wollte wieder aus seinem Mund
    Vernehmen den ›dummen Jungen‹,
    Das hat mir immer wie Musik
    Im Herzen nachgeklungen.
    Ich sehnte mich nach dem blauen Rauch,
    Der aufsteigt aus deutschen Schornsteinen,
    Nach niedersächsischen Nachtigall’n,
    Nach stillen Buchenhainen.
    Ich sehnte mich nach den Plätzen sogar,
    Nach jenen Leidensstationen,
    Wo ich geschleppt das Jugendkreuz
    Und meine Dornenkronen.
    Ich wollte weinen, wo ich einst
    Geweint die bittersten Tränen –
    Ich glaube, Vaterlandsliebe nennt
    Man dieses törichte Sehnen.
    Ich spreche nicht gern davon; es ist
    Nur eine Krankheit im Grunde.
    Verschämten Gemütes, verberge ich stets
    Dem Publiko meine Wunde.
    Fatal ist mir das Lumpenpack,
    Das, um die Herzen zu rühren,
    Den Patriotismus trägt zur Schau
    Mit allen seinen

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