Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)
Laufe des Winters Mamsell Fischer und im April Mamsell Milder aus Wien, beide Sängerinnen und sehr rühmlich bekannt. –
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Schreiben aus Berlin
Den 28. Oktober
Die Oper Cendrillon, welche sich Madam Bethmann zum Benefiz gewählt hat, und Herr Herklots bereits, zu diesem Zweck, übersetzt, soll, wie man sagt, der zum Grunde liegenden, französischen Musik wegen, welche ein dreisilbiges Wort erfordert, Ascherlich, Ascherling oder Ascherlein usw., nicht Aschenbrödel , genannt werden. Brodel, von Brod oder, altdeutsch, Brühe (brode im Französischen), heißt eine mit Fett und Schmutz bedeckte Frau; eine Bedeutung, in der sich das Wort, durch eben das, in Rede stehende, Märchen, in welchem es, mit dem Mutwillen freundlicher Ironie, einem zarten und lieben Kinde von überaus schimmernder Reinheit an Leib und Seele, gegeben wird, allgemein beim Volk erhalten hat. Warum, ehe man diesemMärchen dergestalt, durch Unterschiebung eines, an sich gut gewählten, aber gleichwohl willkürlichen und bedeutungslosen Namens, an das Leben greift, zieht man nicht lieber, der Musik zu Gefallen, das »del« in »d’l« zusammen, oder elidiert das d ganz und gar? Ein österreichischer Dichter würde ohne Zweifel keinen Anstand nehmen, zu sagen: Aschenbröd’l oder Aschenbröl .
Ascherlich oder Aschenbröd’l selbst, wird Mademoiselle Maas, Madam Bethmann, wie es heißt, die Rolle einer der eifersüchtigen Schwestern übernehmen. Mademoiselle Maas ist ohne Zweifel durch mehr, als die bloße Jugend, zu dieser Rolle berufen; von Madam Bethmann aber sollte es uns leid tun, wenn sie glauben sollte, daß sie, ihres Alters wegen, davon ausgeschlossen wäre. Diese Resignation käme (wir meinen, wenn nicht den größesten, doch den verständigsten Teil des Publikums, auf unserer Seite zu haben) noch um viele Jahre zu früh. Es ist, mit dem Spiel dieser Künstlerin, wie mit dem Gesang manchen alten Musikmeisters am Fortepiano. Er hat eine, von manchen Seiten mangelhafte, Stimme und kann sich, was den Vortrag betrifft, mit keinem jungen, rüstigen Sänger messen. Gleichwohl, durch den Verstand und die ungemein zarte Empfindung, mit welcher er zu Werke geht, führt er, alle Verletzungen vermeidend, die Einbildung, in einzelnen Momenten, auf so richtige Wege, daß jeder sich mit Leichtigkeit das Fehlende ergänzt, und ein in der Tat höheres Vergnügen genießt, als ihm eine bessere Stimme, aber von einem geringern Genius regiert, gewährt haben würde. – Madam Bethmanns größester Ruhm, meinen wir, nimmt allererst, wenn sie sich anders auf ihre Kräfte versteht, in einigen Jahren (in dem Alter, wo andere ihn verlieren) seinen Anfang.
y.
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Hr. Kapellmeister Reichardt wird, im Laufe dieses Winters, die Oper: der Taucher (der bekannte, alte, sizilianische Stoff), von Hr. Bürde bearbeitet, auf die Bühne bringen. Das Publikum von Berlin, das diesen Gegenstand schon, aus der Ballade von Schiller kennt, ist mit Recht auf diese poetische Erscheinung begierig.
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Von einem Kinde, das kindlicher Weise ein anderes Kind umbringt
»In einer Stadt Franecker genannt, gelegen in Westfriesland, da ist es geschehen, daß junge Kinder, fünf-, sechsjährige, Mägdlein und Knaben, mit einander spielten. Und sie ordneten ein Büblein an, das solle der Metzger sein, ein anderes Büblein, das solle Koch sein, und ein drittes Büblein, das solle eine Sau sein. Ein Mägdlein, ordneten sie, solle Köchin sein, wieder ein anderes, das solle Unterköchin sein; und die Unterköchin solle in einem Geschirrlein das Blut von der Sau empfahen, daß man Würste könne machen. Der Metzger geriet nun verabredetermaßen an das Büblein, das die Sau sollte sein, riß es nieder und schnitt ihm mit einem Messerlein die Gurgel auf; und die Unterköchin empfing das Blut in ihrem Geschirrlein. Ein Ratsherr, der von ungefähr vorübergeht, sieht dies Elend; er nimmt von Stund an den Metzger mit sich, und führt ihn in des Obersten Haus, welcher sogleich den ganzen Rat versammeln ließ. Sie saßen all über diesen Handel, und wußten nicht, wie sie ihm tun sollten, denn sie sahen wohl, daß es kindlicher Weise geschehen war. Einer unter ihnen, ein alter weiser Mann, gab den Rat, der oberste Richter solle einen schönen, roten Apfel in die eine Hand nehmen, in die andere einen rheinischen Gulden, solle das Kind zu sich rufen, und beide Hände gleich gegen dasselbe ausstrecken; nehme es den Apfel, so solle es ledig erkannt werden, nehme
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