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Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)

Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Saemtliche Werke von Heinrich von Kleist (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich von Kleist
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Redaktion)
     
    Festung Waxholm in Schweden, den 10. Aug. 1810
    Erst jetzt, meine teure und liebe Freundin, kann ich meine Geister in dem Maße sammeln, als es nötig ist, um Ihnen zu schreiben, und noch werden meine Gedanken verworren und zerrissen sein, unter der Einwirkung des Schreckens und des Entsetzens, in welchem meine Seele befangen ist. Gleichwohl, so schwer es mir wird, so bin ich es der standhaften Freundschaft, die Sie mir bewiesen haben, schuldig, Ihnen einige Zeilen zu schreiben; es ist gut und zweckmäßig, zur Wissenschaft aller Männer von Ehre zu bringen, wie weit die Verwegenheit der abscheulichsten Lüge, und der Grimm ihrer entsetzlichen Verfolgungen geht. Seit jenes, gegen Gustav IV. ausgeübten Gewaltschrittes, waren die Gemüter überhaupt zur Rebellion geneigt: der Keim der Empörung bildete sich und gärte in ihrem Inneren. Bediente und Lakaien hatten geheime Zusammenkünfte; Brandbriefe gegen ihre Herrn und gegen die Männer in Amt und Würden, gingen, in Stockholm sowohl als in der Provinz, von Hand zu Hand, undverrieten nur zu deutlich die allgemeine Gärung. Darauf kömmt der Kronprinz an: sein Anblick gefällt, er weiß sich geliebt zu machen. Und in der Tat hatte er die angenehmsten und schätzenswürdigsten Eigenschaften; tapfer als Soldat, einfach und edelmütig in seinen Sitten, voll von Güte und Herablassung für alle Stände, schickte er sich in jeder Rücksicht für dies Land; er ward nach seinem vollen Verdienst darin gewürdigt. Diese Liebe zu ihm beschwichtigte oder schien wenigstens die Gemüter zu beschwichtigen; das Glück Schwedens schimmerte von neuem empor, und bei der milden und gerechten Denkungsart dieses Herrn, hoffte jeder auf eine glückliche Regierung. Sein Tod, ach! war das Zeichen des Hineinbrechens aller Übel über Schweden. Die Unzufriedenen, die nichts als eine Gelegenheit wünschten, um die Revolution zu beginnen, ergriffen diesen Augenblick, um zu ihrem Zweck zu gelangen. Überall streute man Gerüchte aus, des Prinzen Tod sei kein natürlicher, das Gift habe seinem Leben ein Ende gemacht; unsere Familie sei der Urheber dieses Verbrechens, noch mehrere große Familien seien darin verwickelt, mein Bruder aber und ich vorzüglich die Anstifter desselben. Wir waren, leider! mein Bruder und ich, die letzten, die von diesen abscheulichen Stadtgesprächen unterrichtet wurden; wir wußten nichts von den Verleumdungen, die in öffentlichen Blättern gegen uns im Umlauf waren; im Schoß eines reinen Gewissens und der Unschuld unsrer Herzen lebten wir in völliger Ruhe und Sicherheit. Es schien uns unmöglich, daß eine tadellose Aufführung seit den Tagen unserer frühesten Jugend, daß ein gänzliches Hingeben, als Staatsmann sowohl als Bürger, an die geheiligten Grundsätze der Ehre meinem (jetzt so schwer verkannten) Bruder nicht den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Gerechtigkeit verbürgen sollten. Wir glaubten, er sowohl als ich, diese Gerüchte hätten keine andre Quelle, als die Verhetzungen einzelner Übelgesinnter, und könnten, von allen Belegen entblößt, vernünftiger Weise keinen Eindruck machen. Erst 6 Tage vor dem schrecklichen 20. erfuhren wir die, gegen uns im Volk umlaufenden, Schmähungen; und auch selbst dann noch konnten wir uns nicht entschließen, eine bedeutende Rücksicht darauf zu nehmen. Überdies, wenn man sechs und fünfzig tadellos durchlebte Jahre hinter sich hat, so glaubt man nicht, so unerhört verkanntzu sein. Indem ich mich nun völlig auf das Herz meines Bruders, auf seine Tugenden und seinen offenen und trefflichen Charakter stützte, war ich seinethalben ohne die mindeste Besorgnis. Der Edelmut und die Gerechtigkeit der schwedischen Nation war auch zu bekannt, als daß es nur von fern möglich geschienen hätte, die schwärzeste Verleumdung könne diesen Charakter in der Schnelligkeit eines Augenblicks umwandeln. So tremiten wir uns nun den 20. morgens um 9 Uhr, in der Sorglosigkeit eines ganz ungestörten Gewissens. Der Königl. Hof ging, wie Sie wissen, dem Leichenzug des Kronprinzen entgegen. Aber Sie kennen besser, als ich, die entsetzlichen Umstände, die diesen Vorfall – niemals hatte ich die Kraft sie anzuhören. – – Um 3 Uhr kam man, und sagte mir, daß dieser teure Bruder, tot, ein Opfer der Volkswut – – – Mein Zustand, bei dieser Nachricht, erlaubte mir nie, das Ausführliche darüber – Ich weiß nur, daß einige Offiziere von der Garde, an der Spitze einer starken Wache, mein Haus vor der

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