Saemtliche Werke von Jean Paul
Religiosität erheben; aber mir fiel die Bemerkung von Spittler ein, daß der Ausbreitung des Christentums nichts so zustatten gekommen sei als die damalige Gleichgültigkeit der römischen Kaiser gegen Religion und Staat. Ich sagte dem Adjunkt, seine und die spittlerische Bemerkung wären in seinem Kopfe ein Widerspruch, in meinem nicht. – Er verwarf die Preßfreiheit; ich stimmte bei und sagte: »Ein guter Staat stellt das Denken und Betteln ab, aber nicht auf einmal. Villaume sagt, er gewöhne Zöglingen, die falsch in der Karte spielen, vorher das falsche Spielen ab, und erst dann räum’ er ihnen das Spielen überhaupt aus der Seele. So reutet ein Staat, der die Seelen zu bevogten hat, anfangs nur das irrige unkirchliche Denken aus, eh’ er alles Denken überhaupt wegschafft. Daher kann er vor der Hand den Feinden der Religion keine andre Anfälle darauf verwehren als die unbescheidensten oder spöttischsten.« Ich wurde ganz irre, als der Adjunkt versetzte: »Nein! entweder keine oder alle Anfälle, selber die unbescheidensten, müssen verstattet werden. Denn die Religionsspötter können sagen, es müßten also unbescheidne und spöttische Anfälle auf sie ebensogut den Orthodoxen durch die Zensur verboten sein, sonst wäre man parteiisch.« – »Sie meinen,« (sagt’ ich) »ein Spötter könne sagen, die Unbescheidenheit der Prüfung gebe nur den Vorwand des Verbots der letztern selber her, so wie ein guter Freund, den der andre gutmütig tadelt, die Erbosung über die Rüge mit dem Tone der Rüge entschuldigt; haben Sie anders gemeint, Herr Adjunkt?« –
Ich und Graukern wurden inzwischen durch wechselseitiges Aufpassen einander immer widerlicher: ich kann gar nicht sagen, wie fatal, grell und steinig mir, wenn gerade Eva ihr schönes, stilles Gesicht ohne alle Linien als die lächelnde um die Tafel trug, das adjungierte erschien. Mit jungfräulicher Unbefangenheit macht ein männliches Fiskalatsgesicht einen verdammten Abstich. Ich erzürnte mich und legte den Kopf an die Stuhllehne und sagte zur Stubendecke: »Ich und Sie, Herr Graukern, sind ein Paar Köpfe voll Licht und passen darum – schlecht zusammen: in der großen Welt ists mit den Menschen wie mit den Schiffen, die zu nachts darum Lichter (die Seeleuchten) haben, um auseinander zu bleiben und nicht aneinander zu scheitern. – Ich wollt’, es wäre mit den Köpfen wie mit den Wägen, worunter allemal die leeren den vollen ausweichen.«
Ach! der arme Torsaker weiß die Wallungen seines satirischen Venensystems selten zu besänftigen – er müßte denn, statt zu sprechen, nur schreiben, wo er sich (glaubt er) bisher so bezwungen, daß er in der Tat die Kunstrichter auffodert, ihm einen einzigen satirischen Einfall in allen seinen Werken nachzuweisen.
Der Stadtrichter trank und fragte nach nichts; ich, jede Minute in Sorge, Graukern entsinne sich, in Scheerau einen Advokaten von meiner Gestalt gesehen zu haben, durfte meinem Stande nach wenig oder keinen Hunger haben und merkte auch an, die Großen sollten in der vierten Bitte nicht um tägliches Brot, sondern um täglichen Heißhunger anhalten und um einen neuen Magen und Adam miteinander. Graukern trank wenig; ich pries das Gegenteil, brachte bei, daß der Kaiser Wenzel zwar der Stadt Nürnber für 4 Fuder Bacharacher Wein die Freiheit geschenkt, daß es aber zehnmal gescheuter gewesen wäre, wenn die Stadt die 4 Fuder selber ausgetrunken hätte, weil der Wein den Menschen ein paar Freiheiten auf einmal gibt, Preßfreiheit, Maskenfreiheit, akademische und poetische Freiheiten . Es schlug nichts an: Graukern dachte, wie es in den Gerichtsstuben sonst eine Durst-Folter gab, um dem Durstigen Bekenntnisse abzuzwingen, so geh’ es in dieser eine Trink-Folter, die noch mehrere ablockt.
Ja er marschierte gar fort, sagte aber, er komme wieder und hole bloß die Hamburger Zeitung her, die nunmehr die Kirmesleute in der Pfarre müßten abgegeben haben. Mir war, als würd’ ich vom Schrecken in ein Kühlfaß geworfen: denn dunkel entsann ich mich, in der Hamburger Zeitung mehr einen Steck- als Belobungsbrief vom Herrn Seraphinen-Ritter v. Torsaker gelesen zu haben. »Ein gescheutes Männchen!« sagte der Stadtrichter. – »Dümmer oder klüger«, sagt’ ich, »sollt’ es sein. Der Adjunkt gehört unter die Geistlichen, die sich früher rechtgläubig anstellten und logen, um ordiniert zu werden, die täglich predigen, daß Christus für die Wahrheit starb, indes sie für die Lüge leben,
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