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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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sei.« Bald aber hob er diesen Einfall noch höher in die Welt des Geistes. Shakespeare war gewiß ihm und seiner Zeit ein Gott, aber die letzte und höchste Erkenntnis und tiefste Klage, die mußte doch von einem noch Größeren ausgesprochen werden, und so schrieb er den Aufsatz um und gab ihm den Titel: »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei.«
    »Da träumte mir, ich erwache auf dem Gottesacker. Der Nachthimmel ist ausgeleert, die Gräber sind aufgetan, und die Türen des Gebeinhauses gehen unter unsichtbaren Händen auf und ab. Hoch oben donnert der Fall der Lawinen und unter der Erde der erste Tritt eines unermeßlichen Erdbebens. Die Kirche schwankt auf und nieder von zwei Mißtönen, die sich in ihrem berstenden Innern bekämpfen. Das Blei der Fenster schmilzt hernieder. Durch den Strom der Schatten wird er in das Innere der Kirchen getragen. Alle Schatten stehen um den Altar und statt des Herzens zittert ihnen die Brust. Einer, der eben erst gestorben, hebt die Hände, aber die Arme verlängern sich und lösen sich ab, und die Hände fallen gefaltet hinweg. Am Gewölbe oben steht das Zifferblatt der Ewigkeit, das sein eigner Zeiger ist, nur ein schwarzer Finger zeigt darauf. Auf dem Altar steht Christus, und alle Schatten rufen ihn an: ›Christus! ist kein Gott?‹ Er antwortet: ›Es ist keiner!‹ Es strömt vom Weltgebäude herab sein angstvolles Rufen: ›Vater, wo bist du?‹ dem keine Stimme antwortet. ›Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater.‹ Er schaut in das mit tausend Sonnen durchbrochene Weltgebäude herab, gleichsam in das um die ewige Nacht gewühlte Bergwerk, in dem die Sonnen wie Grubenlichter und die Milchstraßen wie Silberadern gehen. ›Wann zerschlagt ihr das Gebäude und mich?‹ ›Zufall, weißt du dich selber, wenn du mit Orkanen durch das Sternen-Schneegestöber schreitest und eine Sonne um die andere auswehest?‹ Und er schreit nach seinem Erdendasein, da er den unendlichen Vater noch hatte. ›Ach, ihr überglücklichen Erdenbewohner, ihr glaubt ihn noch. Vielleicht gehet jetzt eure Sonne unter und ihr fallet unter Blüten, Glanz und Tränen auf die Knie und ihr hebt die gefalteten Hände empor.‹ Aber rings ist nur reibendes Gedränge der Welten, Fackeltanz der himmlischen Irrlichter, und liegen die Korallenbänke schlagender Herzen. Die Ringe der Riesenschlange der Ewigkeit heben sich, fallen nieder und umfassen das All doppelt, es zu zermalmen, und ein Glockenhammer zerschlägt die letzte Stunde der Zeit… als ich erwachte.« Niedersinkt er, Gott anzubeten in freudigem Weinen, und der Glaube an ihn ist Gebet. Die Sonne glimmt tief unter den vollen Kornähren, und der Mond steigt friedlich im Morgen ohne Aurora auf. Die Erde streckt die kurzen Flügel aus und lebt wie alles vor dem unendlichen Vater. –
    Ward je ein größeres Fragezeichen errichtet und über dem Weltgebäude stehengelassen?? Werden wir wie die Toten des Traumes vergeblich nach dem Vater suchen und ist das All ein leerer sinnloser Zufall, in dem »die Eimer auf- und niedersteigen?« Aber diese Frage ist nebensächlich neben dem ungeheuern Bild, das den Grund der Erde aufreißt. Das furchtbare Entsetzen über die Sinnlosigkeit des Lebens kommt wie ein Alpdruck über uns. Der panische Schrecken der Alten gesteigert zum kosmischen Entsetzen. In die niederdrückenden Bilder von den Korallenbänken der schlagenden Herzen, der auf- und niedertanzenden Kirche, diese Erdrindenerscheinung Leben gepreßt. Das alles stellt sich von nun an über alles Leben, auf dem Weltgebäude steht nun immer Christus und erhebt den Ruf: »Vater, wo bist du?«, auch wenn wir mit gefalteten Händen beim Untergang der Sonne niedersinken. Der Ton, der zum erstenmal in der kleinen Abhandlung »Was der Tod ist« angeschlagen war und Karoline Herder ergriffen hatte, der wuchtete jetzt wie der Klang einer Riesenglocke über das All.
    Im Frühjahr 1789 war das Vogtland von drei Erdbeben heimgesucht worden, und Jean Paul hatte das unterirdische Stoßen und Dröhnen mit seiner ganzen Dichterphantasie in sich aufgenommen. Zum erstenmal mag ihn hier das kosmische Entsetzen befallen haben, das er in seine Dichtung projizierte. Der Gedanke, daß mechanische Gewalt alles Seelische durcheinanderzuwirbeln vermag, hat sich ihm tief ins Herz gebohrt und unvergänglichen Eindruck hinterlassen. Wenn Naturgewalt seelisches Leben zu vernichten vermag – und wer wollte nicht bei einem Erdbeben für

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