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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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stößt in den Bannkreis des Weiblichen hinein und liebt die Person, die ihm diesen Bannkreis am stärksten verkörpert. Seine Liebe wie sein Wesen sind musikalisch. Die Musik tritt wieder in den Vordergrund. Seit seiner Kinderzeit hatte er kaum die schwarzweißen Tasten berührt. Erst in Venzka stand ihm wieder ein Flügel zur Verfügung. Jetzt phantasiert er im Kreise der Freundinnen, schreibt von seinen »Klavierfingern«, und vielleicht waren es sogar Klavierstunden, die er Renate gegeben hatte. Musik wurde ihm in dieser Zeit zum unmittelbaren Ausdruck seines Innern. Beim Phantasieren kamen ihm die Gedanken, und aus seinem nahen Verhältnis zur Musik erst sollten sich seine eigentlichen Schöpfungen losrollen. Anders als bei Goethe, dessen Schaffen auf seinem Verhältnis zur bildenden Kunst basierte. Darin lag nicht einmal die zufällige Verschiedenheit zweier gleichmäßig nebeneinanderstehender Typen, eines musikalischen und eines plastischen Typus, sondern die Verschiedenheit zweier Welten. Plastik war die Kunst des klassischen Altertums gewesen, Musik war der künstlerische Ausdruck der nordisch christlichen Völker. Wenn der Glaube der Alten sich zu Götterstatuen von vollendetem Ebenmaß verdichtete, der Glaube der Nordländer hatte sich von je zum Anstaunen von Naturgewalten erweitert. Goethe war der Träger einer geistigen Tradition, die sich aus der Wiege der europäischen Kultur, aus Hellas, herleitete. Das Anstaunen der Naturgewalten, die Auflösung des Daseins in das Wogen des Rhythmus und der Töne, das stieg von neuem aus der Erde auf, schlug Brücken durch die anerzogene und angewandelte Kulturschicht hindurch zu dem Urgrund der nordischen Seele. Auch Goethe ward dem Werden der Natur hingegeben, aber ihn lockte das plastisch sich Bildende und Entwickelnde in ihr. Die Klarheit ihrer Formen, wie ihre Geschichte sich in einem Zwischenkieferknochen manifestierte, das war es, was ihn ergriff. Wie anders Jean Paul!
    In seinem letzten Roman schilderte er sich selber in seinem Verhältnis zur Natur. »Bleibt wohl schön Wetter, mein Herr?« fragt im »Kometen« der Reisemarschall Worble den Kandidaten Richter, und der antwortet: daß es in fünf Minuten wehen würde, weil der Mond dann eben über Amerika kulminiere. Täglich viermal bezeichne der Mond mit einer kleinen Wetteränderung, und wär’ es die Verdünnung des Gewölks oder ein neuer anderer Wind, seine Bahn, nämlich erstens bei seinem Aufgange, zweitens bei seinem Untergange, drittens bei seiner Kulmination über uns und viertens bei seiner Kulmination über Amerika. So belauscht Jean Paul das Hineinragen des Kosmos in unsere Atmosphäre, und es ist ihm mehr als eine Spielerei mit Zahlen und Größen. Etwas von der Naturandacht Keplers oder des Kopernikus ist in ihm lebendig, von diesem Geiste des Nordens, der sich der überlieferten Sternenlehre bemächtigt, die ihm durch die Überlieferung des Altertums fast unverstanden zugetragen wird, und sie aufnimmt, sich anverwandelt und aus ihr das neue kosmische Weltbild schafft. Das ist Jean Paul als »Wetterprophet«, wie ihn seine Freunde scherzhaft nannten. Er lebte unter dem Bann des Sternenjahres, und in jedem Augenblick war er sich der Himmelskonstellation bewußt und empfand Wärme und Winde als aus dem großen Weltenraum zu ihm kommend.
    Man staunt vielleicht, daß der Jüngling, dessen Schriften und Sprache gelehrte Männer wie den Pfarrer Vogel vor Rätsel stellten, Verständnis bei einem Kreis sechzehnjähriger Mädchen suchte. Und doch ward es ihm zuteil. Mit der Empfängnisfähigkeit der ersten Jugend nahmen die Freundinnen ihn und alles Seinige auf. Die aufnehmende Genialität des weiblichen Geschlechts wurde ihm zum Erlebnis. Was er nur bei wenigen Männern fand, das floß diesen Mädchen in ihrer Gesamtheit zu. Eine weiche und in ihren Möglichkeiten unendliche Welt erschloß sich ihm. Und so wie er es wollte: nicht nur in intellektuell festgelegten Ergebnissen, sondern als Totalität und Leben in der Gesamtheit. Dieser Höfer Kreis war bereits typisch für seine spätere große Wirkung: wenige und auserwählte Männer verstanden ihn, aber der Frauenwelt löste er die Seele. Er zog keine einzelne besonders an sich heran. In ihrer Gesamtheit waren sie der große Gegenpol seiner männlichen Welt.
    In diesen Frühjahrswochen schrieb er das Großartigste, was er vielleicht überhaupt je geschrieben hat. Es war ein nicht allzulanger Aufsatz: »Des toten Shakespeare Klage, daß kein Gott

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