Saemtliche Werke von Jean Paul
Feiertage eines festlich und heiter gestimmten Freundeskreises gibt. Aus dieser Stimmung hat Jean Paul eine Partie des Romans geschaffen, die zu den größten Dichtungen der Weltliteratur gehört.
Voll innerer Spannung verrinnen die Feiertage. Klothilde soll in das Pfarrhaus zum Abendessen kommen. Punsch erhitzt die Gemüter. Von unsinniger Leidenschaftlichkeit ergriffen, rast Viktor auf den Wartturm, rast herunter, zecht weiter. Die Freiheitsdisputationen der Tage beherrschen das Gespräch. In fast irrer Verzweiflung schleppt er seine Wachsstatue herbei, stellt sie vor sich hin, steigt auf einen Stuhl und hält seiner leblosen Büste eine Leichenrede, dämonisch das eigene Leben verfluchend. Diese Szene des Rasenden, angefeuert durch die geschickt dazwischengeworfenen Bemerkungen des hämischen Matthieu, sind von einer ungeheuren Größe. Noch nie, und vielleicht nie wieder, wenn nicht etwa bei Dostojewski, fand die innere Zerrissenheit eines Menschen derartigen Ausdruck. Das Sichspiegeln im Angesicht des eigenen Todes, wie es den zweiten Teil des »Siebenkäs« so grandios beherrscht, ist hier zu einer unüberbietbaren Höhe getrieben. Weinend liegt Viktor in seinem Zimmer. Weinend im Schloß ihm gegenüber Klothilde, die Zeuge dieses unerhörten Ausbruchs sein mußte. Sie glaubt ihn im Fenster liegen zu sehen. Es ist aber nur das Wachsbild, vor dem ihre Tränen niederrinnen. Am nächsten Tag erscheint wiederum Franz Koch mit seiner Maultrommel und deckt die zerrissenen Herzen mit unendlicher Rührung zu.
In Flachsenfingen gibt die Fürstin einen Ball. Die ganze St. Lüner Gesellschaft ist gezwungen, dazu herüberzufahren. In der Nacht fährt Klothilde in Viktors Schlitten. Ungeheure Spannungen sind zwischen den Liebenden. Endlich kommt es zur Aussprache. Das Unerhörte wird Ereignis: Klothilde liebt ihn und hat ihn seit langem geliebt und verstanden. Voll unendlicher Trauer ist ihre Seligkeit. Rings sind Hindernisse getürmt. Am nächsten Tag fährt Klothilde nach Maienthal, Viktor nach Flachsenfingen zurück. – –
Eine neue Welt ist angegangen. Briefwechsel mit Emanuel und Klothilde. Die zwei Gefahren: der verfeindete Hof und Flamin recken sich vor den Liebenden auf. Viktor lebt still für sich, liest Kant, Jakobi und Epiktet. Mechanisch verrichtet er den Hofdienst. Zu Pfingsten will er nach Maienthal gehen, um mit Emanuel und Klothilde vereinigt zu sein. Er sucht Flamin auf und teilt ihm seinen Entschluß mit. Flamin rast. Gerade vor einem Jahr verbanden sich die Freunde durch einen Schwur zu ewiger Treue. Aber Viktor ist durch einen Eid gebunden, er kann Flamin nicht über sein nahes geschwisterliches Verhältnis zu Klothilde aufklären, andererseits auch nicht mehr auf ein Zusammensein mit der Geliebten verzichten. Er schwört dem Freund, daß er ihm treu ist, auch wenn alle Anzeichen dagegen sprechen. Zu des Hofkaplans Geburtstag gehen sie beide nach St. Lüne. Wieder finden große Gespräche mit den drei Engländern über Freiheit und Weltentwickelung statt. Wenn auch nicht mit der Leidenschaft des vorigen Zusammenseins, so doch mit größerer Klarheit und Durchdachtheit wird, genau wie gleichzeitig von Goethe in seinen »Lehrjahren«, das Gebäude des Sozialismus in unerhörter Voraussicht vorweggenommen. In diesen Freiheitsgedanken finden sich Viktor und Flamin wieder. Versöhnt kehren sie nach Flachsenfingen zurück.
Und nun beginnt die Seligkeit von Maienthal. Der ganze Zauber der Fichtelgebirgslandschaft wird vor uns ausgebreitet. Berge und Täler fangen die Festtage in ihren Wellen ein. Im Frieden des Lindenhauses glätten sich die Wogen der Erregung unter dem Flötenspiel des Blinden und dem sanften Wesen Emanuels. Man wandelt durch den märchenhaften Abteigarten, der einst vom Lord angelegt wurde. Hinter einer Blütenlaube, die ihn magisch anzog, findet Viktor die Geliebte, die dort auf ihn gewartet. Noch immer liegt die leise Traurigkeit über ihrem Glück. Am Nachmittag vereinigt ein Spaziergang die ganze Gesellschaft. In einem Dorf weilt der eine der drei Engländer. Er hat eine Bande Prager Musikanten angeworben, deren Klänge weithin die Fröhlichen anlocken. Man muß sich hierbei erinnern, daß Böhmen bereits tief in die Täler des Fichtelgebirges einschneidet und böhmische Musikkapellen in Jean Pauls Heimat nichts Seltenes waren, gewissermaßen zum Feiertagsbilde der festlichen Täler gehörten. Von einem Berg aus sehen die Spaziergänger den fernen See mit der Insel der
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