Saemtliche Werke von Jean Paul
von Karoline löste.
Unmittelbar nach der Vorrede für den »Siebenkäs« erfaßte ihn die Welt Weimars. Unmittelbar nach Weimar kehrte er in der Vorrede zur zweiten Auflage des »Quintus Fixlein« in diese Welt zurück. Hier war der Boden, auf dem er sich mit dem Geist seiner Zeit auseinanderzusetzen hatte, auf dem allein er »sanfter und fester zugleich« werden konnte.
Weima r
Um Weimar kreisten Jean Pauls Gedanken. Unter dem Einfluß von Karl Philipp Moritz war Herder hinter Goethe ein wenig zurückgetreten. Moritz hatte mit Goethe in Italien unvergeßliche Zeiten verlebt, und es war nur natürlich, daß er Jean Pauls Blicke wieder auf den Großen von Weimar lenkte. Wir sahen im vorigen Kapitel, welchen Eindruck Goethes und Schillers Bildnisse auf Jean Paul gemacht hatten. Dicht hintereinander hatte er Goethe die »Unsichtbare Loge« und den »Hesperus« übersandt, freilich ohne eine Antwort zu erhalten, aber es war wohl in erster Linie Goethe, der ihn nach Weimar, diesem »Keblah der Seele«, wie er an Wieland schrieb, zog. Wenn Karl Philipp Moritz länger gelebt hätte, so wäre es ihm wohl bald zum Bewußtsein gekommen, welcher unüberbrückbare Abgrund zwischen Jean Paul und Goethe klaffte. Mit seinen Worten nach der ersten Lektüre der »Unsichtbaren Loge«: »Das ist etwas ganz Neues, das ist noch über Goethe!« hatte er eigentlich schon den tiefen Unterschied zwischen beiden Dichtern anerkannt und war auf Jean Pauls Seite getreten. Sein plötzlicher Tod überhob ihn der peinlichen endgültigen Stellungnahme. Auf eine allgemeine Stellungnahme und Auseinandersetzung spitzten sich gerade in diesem Jahr 1796 die Verhältnisse zu. Bekanntlich brachte dieses Jahr auch den endgültigen Bruch zwischen Goethe und Herder, der nur die Einleitung zu andern Auseinandersetzungen, zum Beispiel zwischen Goethe und dem Kapellmeister Reichardt auf Gibichenstein, bildete.
Goethe wuchs sich mehr und mehr zum Repräsentanten des alten Europa aus. Die alte Bildungs- und Herrenschicht, die über den erwachenden Völkern lagerte, fand in seiner allem Völkischen und vom Volke her Bewegten abgeneigten Persönlichkeit ihren stärksten Ausdruck. Er glaubte, im Griechentum seine starke Wurzel gefunden zu haben, aber es war Spätrom, das in seiner von jedem Volksbewußtsein losgelösten Persönlichkeit und der von ihm vertretenen Schicht über Europa schattete. Mochte diese Persönlichkeit noch so stark und groß sein, sie konnte die Zeit nicht aufhalten und verbreiterte nur durch ihre Bedeutung den unheilvollen Riß in der europäischen Entwickelung, bis er im allgemeinen Zusammenbruch zutage trat.
Wie immer in bewegten Zeiten, gab es Abtrünnige und Überläufer auf beiden Seiten. Ein Teil des Adels war den neuen Ideen zugeneigt. Der Herrenstand begann deutliche Zeichen der Zersetzung zu tragen. Ein literarischer Libertinismus machte sich breit, der zum großen Teil in Angehörigen der Adelskaste seine Vertreter hatte. Mochte der Adel in Frankreich bis zur Revolution noch so wenig durch Sittengesetze gebunden gewesen sein, er war doch im Rahmen seines Standes geblieben. Abenteuerlust und Leidenschaft wurden befriedigt, doch innerhalb der Grenzen, die Sitte und Herkommen setzte. Und ähnlich war es in Deutschland gewesen. Nun aber lockerten sich die festen Bindungen. Auch aus dem Adelsstande trat das Individuum mit dem Anspruch heraus, sich voll auszuleben. Die Höfe hatten das denkbar schlechteste Beispiel gegeben. Selbst in Weimar, unter den Augen Goethes, war es nicht anders als überall. Die Literatur und der mit ihr verbundene Individualismus hatte entfesselnd gewirkt, besonders auf die Frauenwelt. Zwischen dem alten Herrenstand und der Bewegung, die aus dem Volke sich emporhob mit neuen aber festen Bindungen, bildete sich nun eine neue Schicht heraus: eine entwurzelte, verliterarisierte Gesellschaft. Entfesselte Männer und Frauen, die sich hemmungslos dem neuen »Geist« hingaben, alle Schranken der Sitte niederrissen und sich ausleben wollten in literarischen und körperlichen Neigungen. Die Saat des Sturmes und Dranges ging auf. Riesenvermögen gaben die Mittel her. Mit Freiheitsideen kokettierend, gab man sich den geistigen und leiblichen Trieben hin, von dem Vermögen des Volkes zehrend, für dessen Rechte man einzutreten sich und andern vorspiegelte.
Diese literarische Zwischenschicht machte nun auf den Dichter des »Hesperus« und des »Quintus Fixlein« förmlich Jagd. Hier witterte man die Sensationen,
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