Säule Der Welten: Roman
sie den Eindruck hatte, Margit sei ganz und gar mit ihren Wahnvorstellungen beschäftigt.
Sie mochte vollkommen verrückt sein, aber sie hatte mindestens zwei Männer in diesem Raum getötet. »Du musst sie getäuscht haben«, sagte Venera und ließ es wie eine Frage klingen.
»O ja. Ich war ganz züchtig gekleidet und hatte meinen Gefangenen bei mir. Sie schauten aus dem Fenster, weil deine Leute da draußen herumballerten und einen Heidenlärm machten, und plötzlich stand ich da und jammerte: ›Lasst mich rein!‹ Oh, ich sah ja so verängstigt aus. Sobald sie mir den Rücken zuwandten, habe ich sie niedergemäht.«
»Sie waren nur zu zweit?«
Margit schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge. »Wie viele Leute stellt man denn bei euch in einen verschlossenen Tresorraum? Zwei waren schon zu viel, aber die Türen sind von außen nicht zu öffnen. Das ist eine Sicherheitsmaßnahme .« Sie betonte das Wort genussvoll.
Venera tätschelte Garth die Wangen; er stöhnte, murmelte etwas und versuchte kraftlos, ihre Hand wegzuschieben.
Sie schaute wieder zu Margit auf. »Warum gerade hier?«
Margit stand auf; sie triefte von Blut. »Du weißt, warum«, sagte sie mit einem Mal ganz ernst. »Deshalb .« Sie deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Fußboden.
Das Ding war jetzt rot, aber die zylindrische Form war unverwechselbar. Der Schlüssel zu Candesce. Venera stockte der Atem. Sie hob die Pistole wieder auf und entsicherte sie, während sie gleichzeitig mit der anderen Hand versuchte, Garth zum Stehen hochzuziehen.
Margit runzelte die Stirn. »Es ist meine Bestimmung. Widersetze dich nicht, Venera. Sieh her!« Sie stellte sich in Positur und streckte beide Arme ins Scheinwerferlicht. »Vor dir steht die Königin von Candesce.«
»V-Venera?« Garth schlug die Augen auf, blinzelte und schaute an ihr vorbei zu Margit. »Was zum …«
»Mach schnell, Garth.« Sie schleppte ihn hinüber zu den blutverschmierten Steinen, wo der Schlüssel lag. Dann ließ sie ihn los und bückte sich danach. Die Pistole blieb auf Margit gerichtet.
Die Botanikerin stand einfach nur da, von Licht und Blut überströmt, und sah zu, wie Venera und Garth sich rückwärts entfernten.
Sie rührte sich auch nicht von der Stelle, als die beiden die zweite Tür erreichten und das Rad drehten, um sie zu öffnen.
16
Der Fallschirm riss schmerzhaft an Veneras Schultern. Die Luft wurde ihr aus den Lungen gepresst, die Welt drehte sich, und dann kam eine erhabene Ruhe über die sie: der grausame Wind ließ nach, streichelte sie nur noch sanft, und das Krachen des Gewehrfeuers verklang. Auch das Gewicht verringerte sich, und wenig später schwebte sie im Morgenlicht. Die Luft war noch frisch, ließ aber schon erahnen, dass ein warmer Tag bevorstand.
Ringsum hatten sich wie Nachtblumen weitere Fallschirme entfaltet. Rufe und Schreie waren zu hören - aber auch Gelächter. Corinnes Leute übernahmen jetzt das Kommando; der Luftraum unterhalb Spyres war ihr Territorium. »Fangen Sie das Seil!«, befahl einer von ihnen und warf Venera ein Ende zu. Sie ergriff es, und er begann sie einzuholen.
Die Gruppe wartete dreißig Meter von Spyres rasend schnell rotierendem Rumpf entfernt. Zwanzig Leute waren in den frühen Morgenstunden hier eingetroffen, aber mehr als siebzig wollten fort. Es gab nicht genügend Fallschirme, aber Sacrus hatte seine Korridore freundlicherweise mit schweren schwarzen Vorhängen geschmückt. Davon befanden sich jetzt viele in den Händen ehemaliger Gefangener. Sie hatten sich mit
Luft gefüllt und den Sturz abgebremst, aber nun flatterten die schwarzen Quadrate wie Rauchschwaden umher und wurden zu lästigen Hindernissen, wenn die Springer einander an den Handgelenken, den Fingern oder den Füßen zu packen versuchten.
Venera zog sich an Garths Bein empor, hakte eine Hand in seinen Gürtel und schwebte ihm schließlich auf Augenhöhe gegenüber. »Wie geht es dir?« Er wirkte immer noch desorientiert und starrte sie zunächst nur verständnislos an.
»Bist du meinetwegen zurückgekommen?« Seine Stimme klang heiser, und sie wollte gar nicht wissen, woran das lag. Er hatte Brandwunden auf Wangen und Händen und wirkte magerer und älter denn je.
Venera strich ihm mit dem Handrücken über die Wange. »Ich bin deinetwegen zurückgekommen«, sagte sie und sah überrascht, dass ihm die Tränen in die Augen traten.
Natürlich war sie auch gekommen, um den Schlüssel zu Candesce zu suchen - aber es wäre unpassend gewesen, das jetzt
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