Säule Der Welten: Roman
Schmiedeeisen, über der eine schwarze Frauenstatue in lächerlich dramatischer Pose ein Schwert in die Luft reckte. Die Statue musste zehn Meter hoch sein. Venera bewunderte sie, während sie die breite Rampe zum Ratssaal hinaufschlenderte.
Sie spürte, dass viele Augen ihr folgten. Die Ereignisse der vergangenen Nacht hatten sich rasch herumgesprochen, und in Klein-Spyre herrschte gespannte Ruhe. Die Geschäfte hatten früh geschlossen; Menschen hasteten durch die Straßen. Die Architektur der Spinne gestattete keine großen Menschenansammlungen - Spyre ermutigte nicht zu Massendemonstrationen -, aber das Volk war dennoch präsent. Viele Gruppen von zwei bis zehn oder zwanzig Mann standen an Straßenecken oder im Schatten von Brückenbögen. Ihre Anwesenheit, nicht etwa ihre Erinnerung oder ihr eigener Verstand, sagte Venera, dass sie mit dem heutigen Tag eine bedeutsame Tat vollbracht hatte.
Dem musste auch ihr Erscheinungsbild entsprechen. Sie trug eine schwarze Lederjacke mit hohem Kragen über einer scharlachroten Bluse, ihre gebleichte Mähne stand senkrecht nach oben, und ihre silbernen Ohrringe hatten die Form von Kleeblättern und waren so groß wie ihre Hand. Sie war auffallend dunkel geschminkt und hatte sich die Brauen mit dicken schwarzen Strichen nachgezogen. Ihr folgten zwei Dutzend Personen in V-Formation wie ein Schwarm empörter Vögel. Alle
erregten sie Aufsehen. Einige waren bleich und unsicher auf den Beinen, ihre Gesichter und Hände waren übersät mit Blutergüssen und Brandwunden. Diese armen Leute wurden von Helfern betreut, und hinter ihnen marschierten wie riesige Zinnfiguren Soldaten von Liris und verschiedenen Konservationisten-Parteien. Venera wusste, dass Bryces Leute sich unter die Menge gemischt hatten, um sich umzuhören und notfalls Alarm zu schlagen.
»Glaubst du, dass Jacoby Sarto sein Gewehr zu den Ratssitzungen mitbringt?«, fragte sie beiläufig. Corinne, die neben ihr ging, lachte laut auf.
»Hier«, sagte sie und reichte Venera eine große schwarze Pistole. »Du kannst ja versuchen, die mit hineinzuschmuggeln, dann siehst du schon, was passiert. Nein, ernsthaft. Wenn man dich nicht aufhält, dann hat er wahrscheinlich auch eine Waffe. Vielleicht solltest du ihm zuvorkommen.«
»Warum nicht?« Sie nahm die Pistole und schob sie in ihre Jacke. Prompt wurde der Kragen auf der rechten Seite nach unten gezogen. Also steckte sie die Waffe hinter dem Rücken in den Bund.
»Nicht zu auffällig«, sagte Corinne skeptisch.
Ein Kurier der Konservationisten kam keuchend auf sie zu und salutierte. »Sie sind unterwegs, gnädige Frau. Fünf Gruppen von jeweils hundert Mann oder mehr haben soeben das Gelände von Sacrus verlassen. Sie befinden sich jetzt im Niemandsland, aber sie müssen die Nachbaranwesen durchqueren, eine andere Möglichkeit haben sie nicht. Natürlich sind die meisten dieser Anwesen im Besitz von Sacrus …«
»Was haben sie dabei?«, fragte sie. »Artillerie?«
Er nickte. »Wir versuchen, uns der Fahrstuhlkabel zu bemächtigen, aber das wollen sie auch«, fuhr er fort. »Bisher wurde noch kein Schuss abgegeben …«
»Gut.« Sie winkte ab. Die Einzelheiten interessierten sie nicht. »Wir werden sehen, was wir im Rat erreichen. Danach unterhalten wir uns weiter.« Er nickte und zog sich zurück.
Die großen Eingangstüren waren nur den Ratsmitgliedern vorbehalten. Die Ehrengardisten mit ihren federgeschmückten Helmen und den riesigen Musketen hoben feierlich die flachen Hände und wiesen Veneras Gefolge zurück. Sie drehte sich um und bedeutete ihren Begleitern mit einer Kopfbewegung, seitlich um das Gebäude herumzugehen; man hatte ihr gesagt, dort befände sich ein zweiter Eingang für Diplomaten, Botschaftsbeamte und andere Funktionäre, der häufiger benützt würde. Sie trat allein unter den halbkreisförmigen, mit Fresken bemalten Portikus vor dem eigentlichen Saal.
Die Bronzetüren des Ratssaals standen offen, und davor bewegten sich etliche Gestalten. Venera erkannte die anderen Mitglieder; sie zogen gerade ein.
Jacoby Sarto plauderte mit Pamela Anseratte. Er wirkte ganz gelöst. Sie schien angespannt. Als er Venera entdeckte, lächelte er. Sie war überrascht.
»Da sind Sie ja«, sagte er und schlenderte auf sie zu. Venera sah sich um, ob andere Leute - vielleicht auch ein Pfeiler oder eine Statue, hinter der man sich verstecken konnte - in der Nähe wären, und wollte nach ihrer Pistole greifen. Aber Sarto nahm einfach ihren Arm und führte
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