Säule Der Welten: Roman
gefunden, die diese vor ihrem Tod in krakeliger Schrift niedergelegt hatte.
Sie legte die Finger giebelförmig aneinander, lächelte Jacoby Sarto an und sagte: »Die Erklärung ist ganz einfach. Wir wussten, dass man uns töten würde, sobald wir den Buridan-Turm verließen.«
Das war ihr zweiter Schachzug.
Die Ratsmitglieder zeigten sich über die Enthüllung in unterschiedlichem Maße überrascht, schockiert oder befriedigt. Jacoby Sarto verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. »Wer sollte so etwas tun?«, fragte Anseratte. Sie stand immer noch, jetzt beugte sie sich nach vorne über den Tisch.
»Die Abschottung des Buridan-Turms war kein Zufall«, sagte Venera. »Zumindest nicht ausschließlich. Sie war die Folge eines Angriffs - und die Angreifer waren zwei der großen Nationen, die auch heute Abend an diesem Tisch vertreten sind.«
August Virilio lächelte träge, aber Principe Guinevera sprang so heftig auf, dass er seinen Stuhl umwarf.
» Wer ?«, wütete er. »Nennen Sie mir die Namen, schöne Frau, dann werden wir für Gerechtigkeit sorgen.«
»Ich bin nicht hier, um alte Wunden aufzureißen«, sagte Venera. »Obwohl mir klar war, dass ich mich in Gefahr begeben würde, hatte ich keine andere Wahl, ich musste den Turm verlassen. Alle anderen sind tot - bis auf mich und meinen Diener. Vor einem Monat raffte eine von Vögeln übertragene Krankheit die letzten fünf Angehörigen meiner Nation dahin. Ich überantwortete ihre Leichen Virgas Winden, wie wir es schon seit Jahrhunderten tun. Bis zu diesem Zeitpunkt schrumpfte unsere Bevölkerung trotz sorgfältiger und manchmal abstoßender Geburtenregelungen und ständiger Entbehrungen … Wir lebten von Vögeln und Luftfischen, die wir mit Netzen fingen, und ergänzten unsere Kost mit Gemüse, das wir in den nicht mehr bewohnten Schlafräumen unserer Vorfahren anbauten. Wäre auch ich in diesem Turm gestorben, dann hätten unsere Feinde endgültig gesiegt. So beschloss ich, ein letztes Wagnis einzugehen und hierherzukommen.«
»Aber der Krieg, von dem Sie sprechen … Das ist Jahrhunderte her«, sagte Lady Anseratte. »Wie kamen Sie darauf, dass Sie nach so langer Zeit noch immer etwas zu befürchten hätten?«
Venera zuckte die Achseln. »Wir hatten Teleskope. Wir konnten sehen, wie die Nationen unserer Feinde wuchsen und gediehen. Und es entging uns auch nicht, dass der Turm von Wachen mit Maschinengewehren umzingelt war. Ich wuchs in dem Glauben auf, sobald wir den Fahrstuhl bestiegen und versuchten, Klein-Spyre zu erreichen, würden uns diese Schützen schon auf den ersten hundert Metern vernichten.«
»O nein!« Guinevera schien tief betroffen. »Die Wachen waren zu Ihrem Schutz da, Gnädigste! Sie sollten nicht etwa einen Ausbruch verhindern, sondern Eindringlinge abschrecken.«
»Hm.« Venera schlug die Augen nieder. »Vater dachte das auch, aber er meinte, wir wären nur noch so wenige, dass wir kein einziges Leben riskieren dürften, um uns zu vergewissern. Und die Isolation … Man gewöhnt sich daran.« Sie sah die Botschafter von Oxorn und Garrat bedeutungsvoll an.
Sarto lachte laut auf. »Ach, kommen Sie! Was ist mit unseren vielen Versuchen, Kontakt zum Turm aufzunehmen? Telegrafen, Lautsprecher, Rauchzeichen, wir haben alles Mögliche eingesetzt. Aber wir bekamen nie eine Antwort.«
»Mir ist nicht bekannt, dass zu meinen Lebzeiten jemand versucht hätte, mit uns in Verbindung zu treten«, sagte Venera. Das war die Wahrheit, sie hatte es in den letzten Tagen erfahren. Sarto müsste ihr in diesem Punkt Recht geben. »Und was meine Vorfahren zu ihrem Schweigen bewogen haben mag, kann ich nicht sagen.«
»Wie dem auch sei«, fuhr Sarto fort. »Ich will ganz offen sein. Sacrus war damals an den Gräueltaten beteiligt.« Als Guinevera lauthals protestierte, hob er die Hand. »Aber meine Herren und Damen, das war vor mehreren Jahrhunderten. Wir sind bereit, uns zu unserem Verbrechen zu bekennen und dem Rat Schadenersatz zu leisten, sobald diese Betrügerin entlarvt ist.«
»Und wenn sie gar keine Betrügerin ist?«, fragte Guinevera aufgebracht.
»Dann unmittelbar an die Nation Buridan«, sagte Sarto. »Ich wollte nur Klarheit schaffen. Unsere Komplizen
kann ich nicht benennen, weil nach so langer Zeit keine Aufzeichnungen mehr erhalten sind. Aber wir haben gestanden, an der Sache beteiligt gewesen zu sein, wir haben angeboten, Wiedergutmachung zu leisten, und nun kann ich die Ansprüche dieser Frau auch weiterhin bekämpfen, ohne
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