Säule Der Welten: Roman
den Anschein eines Interessenkonflikts zu erwecken.«
Venera runzelte die Stirn. Ihr zweiter Schachzug war ins Leere gelaufen.
Wenn Sacrus seine Beteiligung verschwiegen hätte, dann hätte sie gegen Sarto ein Druckmittel in der Hand gehabt. Vielleicht hätte sie sogar sein Abstimmungsverhalten beeinflussen können. Doch er hatte die Falle elegant umgangen.
Lady Anseratte schaute die Reihe der Anwesenden entlang. »Besitzt die Nation des Mitverschwörers ebenso viel Ehrgefühl? Wird auch sie ihre Rolle offenlegen?« Langes betretenes Schweigen war die Antwort.
»Nun denn«, sagte Pamela Anseratte endlich. »Dann wollen wir nun Ihre Erbansprüche im Einzelnen untersuchen.«
Von da an verlor sich das Verhör im Detail, da jedes Ratsmitglied eigene Dokumente hervorzog und Rechtsfragen aufwarf, um die sich endlose Debatten entsponnen. Venera war müde, und jedes Mal, wenn sie blinzelte, weil ihr alles vor den Augen verschwamm, befürchtete sie, dass ein neuer Migräneanfall im Anmarsch sein könnte. Pamela Anseratte, die den Vorsitz führte, schien über unbegrenzte Energien zu verfügen, aber Venera - und alle anderen - schlafften unter der Masse der Einzelfragen zusehends ab.
Sarto versuchte mit Sarkasmus, Witz, Schläue und bürokratischen Hürden ihre Ansprüche zu torpedieren, doch nach mehreren Stunden zeigte sich, dass er nicht vorankam. Venera wurde wieder munterer. Ich könnte noch gewinnen, dachte sie, und dabei ging ihr auf, wie sehr sie von ihrer Niederlage überzeugt gewesen war.
Endlich antwortete auf Lady Anserattes »Noch weitere Punkte?«, niemand mehr. »Gut«, strahlte sie, »dann können wir ja zur Abstimmung schreiten.«
»Langsam«, sagte Sarto und stand schwerfällig auf. »Ich habe etwas zu sagen.« Alle warteten.
»Diese Frau ist eine Betrügerin. Das wissen wir alle. Es ist undenkbar, dass die Familie sich und ihre Dienerschaft über Jahrhunderte in einem einzigen Turm, völlig abgeschnitten von der Außenwelt, am Leben erhalten konnte …«
»Nicht undenkbar«, widersprach die Botschafterin von Oxorn hinter ihrer Greifenmaske. »Durchaus möglich.«
Sarto sah sie aufgebracht an. »Wie sind sie an Kleidung gekommen? Wie an die kleinsten Gebrauchsgegenstände wie Gabeln oder Schreibfedern? Glauben Sie wirklich, sie hätten ganze Industrieanlagen in diesen Turm gepackt?« Er schüttelte den Kopf.
»Ebenso wenig ist es denkbar, dass sich jemand, der in vollkommener Weltabgeschiedenheit aufwuchs, so mühelos zurechtfindet, sobald er in die Gesellschaft mit all ihren Intrigen hineingestoßen wird, als hätte er nie etwas anderes gekannt! Hat sie mit ihren Puppen geprobt, wie man höflich plaudert? Hat sie mit ihrem Schaukelpferd tanzen gelernt? Man sieht doch auf den ersten Blick, wie absurd das ist.
Und wir wissen alle, warum sie überhaupt Aussicht auf Erfolg hat. Weil sie nämlich jeden gekauft hat, von dem Widerstand zu fürchten wäre. Buridan hat hier und auf Groß-Spyre ein gewaltiges Sachvermögen - Immobilien, Schiffe, Gebäude und Industrieanlagen -, das in seiner Abwesenheit über Generationen durch andere Nationen verwaltet wurde. Und sie hat diesen Nationen die Besitzungen zugesichert, die sie bisher betreut haben! Ansonsten ist sie offenbar fest entschlossen, Buridan an den Bettelstab zu bringen, indem sie alle Schulden auf der Stelle bezahlt. Wenn sie damit fertig ist, besitzt Buridan nichts mehr außer einer Herde von langbeinigen Huftieren.«
»Und dieses Haus«, warf Venera frostig ein. »Ich hatte nicht vor, das aufzugeben.« Damit rief sie da und dort prustendes Gelächter hervor.
»Es ist so leicht zu durchschauen!« Sarto sah die anderen Ratsmitglieder empört an. »Vergesst die formalen Kriterien - mehr noch, halten wir fest, dass sie uneingeschränkt erfüllt wurden. Aber darauf kommt es nicht an. Wir alle kennen die Wahrheit. Sie verhöhnt den Namen einer großen Nation Spyres! Wollt ihr wirklich zulassen, dass sie damit durchkommt?«
Er war auf dem besten Weg, sie alle zu überzeugen. Venera hatte noch einen letzten Trumpf im Ärmel, und es war ihr schwächster. Sie stand auf.
»Und wer bin ich dann?« Sie trat an den Tisch, beugte sich darüber und schaute Sarto in die Augen. »Wenn ich eine Betrügerin bin, muss ich doch von irgendwoher gekommen sein. Wurde ich von einer der anderen Nationen eingeschleust? Wenn ja, von wem? Spyre hütet seine Geheimnisse, aber nicht so gründlich, dass wir
nicht gegenseitig unsere Stammbäume im Auge behielten. Und
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