Säule Der Welten: Roman
meines Wissens wird doch niemand vermisst?
Andererseits!« Nun wandte sie sich an den Rest des Rates. »Sehen Sie mich an und sagen Sie mir ins Gesicht, dass Sie nicht an meine adelige Abstammung glauben.« Sie grinste Sarto höhnisch an. »Sie zeigt sich in jeder meiner Gesten, an meiner Sprache, an der Art, wie ich mit den Dienern umgehe. Jacoby Sarto sagt, er wisse, dass ich eine Betrügerin bin. Aber Sie wissen, dass ich Ihnen ebenbürtig bin!
Wo also komme ich her?« Sie wandte sich wieder an Sarto. »Wenn Jacoby Sarto nicht glaubt, dass ich aus dem Buridan-Turm gekommen bin, dann muss er doch eine Vorstellung haben, woher ich komme. Was wissen Sie, Sir Sarto, was Sie uns Übrigen verschweigen? Haben Sie einen Beweis, den Sie uns vorenthalten wollen? Einen Namen vielleicht?«
Er machte den Mund auf - und zögerte.
Ihre Blicke bohrten sich ineinander, und sie sah, dass er begriff, was sie vorhatte. Der Schlüssel zu Candesce schwebte förmlich zwischen ihnen in der Luft; denn darum ging es wirklich bei allen Beratungen an diesem Abend.
»Sacrus hat, wie wir heute gesehen haben, viele Geheimnisse«, sagte sie ruhig. »Möchten Sie dem Rat nicht noch mehr anvertrauen, Sir Sarto? Wie wäre es mit einem Namen? Einem Namen, der den anderen hier bekannt sein könnte? Einem Namen, der sich mit den jüngsten Ereignissen in Verbindung bringen ließe, mit den Geschichten und Gerüchten, die in den vergangenen Wochen durch die Prinzipalitäten gesickert sind?« Sie sah die Ratlosigkeit in mehreren Gesichtern - und
sie sah, wie Sartos Augen groß wurden, als sie sich immer weiter an eine Enthüllung herantastete, die er nicht an die Öffentlichkeit dringen lassen wollte.
Er schaute zu Boden: »Vielleicht bin ich in meinen Anschuldigungen zu weit gegangen«, flüsterte er. »Ich nehme meine Unterstellungen zurück.«
Herzog Ennersin blieb der Mund offen stehen. Und Jacoby setzte sich wie ein geprügelter Hund.
Venera kehrte zu ihrem Stuhl zurück. Wenn ich unterliege, erfährt jeder hier, dass du den Schlüssel hast, dachte sie und ließ sich auf dem Samtpolster nieder. Sie nahm einen Schluck Wein und sah scheinbar ungerührt zu, wie Pamela Anseratte sich wieder erhob.
»Es scheint«, sagte die Lady vorsichtig, »als seien keine weiteren Ausbrüche mehr zu erwarten … Dann wollen wir zur Abstimmung schreiten.«
Venera beugte sich unwillkürlich ein wenig vor.
»Alle, die den Anspruch dieser jungen Dame unterstützen und anerkennen, dass Buridan nach Spyre und in diesen Rat zurückgekehrt ist, mögen die rechte Hand heben.«
Guineveras Hand schoss in die Höhe. Neben ihm reckte auch August Virilio träge den Arm nach oben. Pamela Anseratte meldete sich ebenfalls.
Oxorns Hand ging in die Höhe. Garrats Botschafter schloss sich an.
Damit waren es fünf. Venera hatte den Atem angehalten und ließ ihn nun ausströmen. Es war vorbei. Sie war gescheitert …
Jacoby Sarto hob die Hand.
Sein Mienenspiel war ein Erlebnis - eine Mischung aus Abscheu und Resignation, als hätte er sich soeben
freiwillig bereiterklärt, eine Leiche auszugraben. Herzog Ennersin sah ihn fassungslos an. Sein Gesicht färbte sich dunkelrot.
Bei Lady Anseratte verriet nur ein leichtes Stirnrunzeln, wie überrascht sie war. »Gegenstimmen?«, fragte sie.
Ennersins Hand schoss in die Höhe. Fünf weitere folgten.
»Und keine Enthaltungen«, sagte Anseratte. »Damit haben wir wohl Gleichstand.«
Jacoby Sarto ließ sich erleichtert zurücksinken. »Dann«, sagte er, »beantrage ich, die Sache an den Ermittlungsausschuss des Rates zu verweisen. Der Ausschuss soll den Turm besuchen und eine gründliche …«
»Bekomme ich keine Stimme?«
Alle drehten sich um und starrten Venera an. Sie richtete sich auf und räusperte sich. »Ich finde …« Ein Achselzucken. »Ich sehe es so, dass dieses Treffen einberufen wurde, um meine Identität zu bestätigen und mich als Oberhaupt von Buridan zu legitimieren. Und in dem Wort Legitimierung ist doch enthalten, dass ich wirklich die bin, als die ich mich ausgebe. Ich bin so lange Buridan, bis das Gegenteil bewiesen wird. Und Buridan ist Mitglied des Rates. Also müsste ich auch eine Stimme haben.«
»Das ist ungeheuerlich!« Herzog Ennersin war mit seiner Geduld am Ende. Er stieß seinen Stuhl zurück und kam steifbeinig um den Tisch herum. »Sie haben die Dreistigkeit zu verlangen …«
»Sie hat Recht.«
Die Worte wurden mit ruhiger, fast gleichgültiger Stimme gesprochen - aber Ennersin blieb stehen
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