Safa: Die Rettung der kleinen Wüstenblume
zusammen mit den anderen Kindern verlassen«, berichtete sie. »Sie trägt heute ein violettes Kleid. Sie hat sich extra schön gemacht für dich.«
Meine Augen füllten sich mit Tränen, vor Erschöpfung, vor Angst, aber auch vor Verzweiflung. Wieso war der Weg zu meinem Patenkind nur so steinig?
»Sie muss hier doch irgendwo sein«, sagte ich zu Joanna, nachdem ich wieder etwas Kraft geschöpft hatte, doch sie zuckte nur ratlos die Schultern.
Gemeinsam gingen wir über den großen Schulhof, der von Eukalyptusbäumen gesäumt war, die den Kindern in der glühenden Hitze Schatten spendeten. Auf einem betonierten Platz spielten mehrere Jungen Basketball. Auch sie hatten Safa nicht gesehen. Raschen Schrittes eilten wir über den Sportplatz bis zur Direktion, die gleich schließen würde. Der Direktor begrüßte uns freundlich, doch als wir ihn nach Safa fragten, musste er uns ebenfalls enttäuschen.
»Lasst uns zu ihrem Klassenzimmer gehen«, forderte ich Fardouza und Joanna auf.
Einsam standen wir in dem leeren Raum mit den niedrigen Schulbänken und Stühlen, auf denen sonst rund dreißig Kinder saßen. Eine ältere, in bunte Gewänder gehüllte Frau wischte ächzend den Boden. Langsam ließ ich den Blick über die Wände gleiten, an denen Dutzende Zeichnungen der Kinder hingen. Ein Bild fiel mir sofort auf: ein hellbrauner Strand vor türkisblauem Wasser, mit Buntstiften gemalt. Ich ging näher heran, um das Kunstwerk genauer betrachten zu können. Da erst fiel mir der kleine Hügel an dem Strand auf, auf den das Kind eine dunkelbraune Hütte gekritzelt hatte. Sofort musste ich an den schrecklichen Alptraum zurückdenken, den ich in Brüssel gehabt hatte. Genau so hatte der Strand ausgesehen, an dem ich im Traum mit Safa gespielt hatte. Erschrocken trat ich einen Schritt zurück. Tatsächlich, über der auf das Papier gekritzelten Hütte war eindeutig eine dunkle Gewitterwolke zu erkennen, dargestellt in Form eines wild in sich kreisenden Knödels und mit schwarzem Stift gemalt.
Mir stockte der Atem. Handelte es sich hierbei um einen unglaublichen Zufall, oder sollte dieses Bild ein überirdisches Zeichen für mich sein? Angestrengt kniff ich die Augen zusammen, um die kleine Schrift in der rechten unteren Ecke zu entziffern. Da stand: »S.a.f.a.«.
Ich befürchtete Schlimmes. War Safa vielleicht davongelaufen? Oder hatten gar ihre Eltern etwas mit ihrem Verschwinden zu tun? Fardouza hatte Fozia und Idriss am Morgen darüber informiert, dass ich nach Balbala kommen und sie besuchen würde. Vielleicht war Safa längst beschnitten, und ich kam zu spät. Sollte mein Alptraum eine böse Vorahnung gewesen sein?
Ein Klopfen an der Schulter riss mich aus meinen Gedanken. »Ich hole rasch mein Handy aus dem Wagen und versuche Safas Eltern zu erreichen. Vielleicht wissen sie ja, wo die Kleine steckt«, erklärte mir Fardouza ihren Plan.
»Ich komme mit dir«, antwortete ich. Mit einem Mal wollte ich nur noch raus aus dem Klassenzimmer, aus diesem leeren Raum, an dessen Wand mein Alptraum so bedrohlich prangte.
Im Freien setzte ich mich mit Joanna auf eine Bank gleich neben dem Schultor und vergrub das Gesicht in den Händen. Die Gedanken wirbelten mir nur so durch den Kopf. Ich fühlte mich müde, ausgelaugt und enttäuscht.
»Waris! Waris! Ich weiß, wo Safa ist!«, schrie Fardouza und kam quer über den Schulhof auf uns zugelaufen. »Stellt euch vor«, sagte sie, als sie außer Atem direkt vor uns stand, »eine Schulfreundin hat Safa zu ihrer Geburtstagsfeier eingeladen. Die Eltern haben die Mädchen gleich nach dem Unterricht abgeholt. Wir haben sie vermutlich um wenige Minuten verpasst.«
Ein tonnenschwerer Stein fiel mir vom Herzen. Meinem Patenkind ging es gut. Doch meine Freude schlug schnell in Ärger um.
»Wie kann uns dieses Mädchen nur so etwas antun?«, sagte ich laut. »Sie wusste doch, dass wir heute kommen würden! Wir werden ein ernstes Gespräch mit ihr führen müssen.«
So schnell es der klapprige und nun auch noch völlig verstaubte Peugeot zuließ, bretterten wir durch die Straßen von Dschibuti-Stadt, dem Regierungssitz des kleinen Staates am Golf von Aden.
Dieses Stückchen Land zählt zu den strategisch bedeutendsten Orten Afrikas. Hier liegt das sogenannte »Tor der Tränen«, eine nur wenige Kilometer breite Meerenge zwischen Afrika und Asien, wo der Indische Ozean ins Rote Meer mündet. Täglich müssen mehrere Dutzend Öltanker aus dem arabischen Raum und mit Autos, Elektronik
Weitere Kostenlose Bücher