Sag, dass du eine von ihnen bist
Menschen sein sollten. Die Scham in Fofos Augen beseitigte jedoch jeden Zweifel. Ich war wütend auf meine Pateneltern.
»Können wir nicht jetzt schon weglaufen?«, fragte ich.
»Nein … im Dunkeln. Egbé .«
»Heute Nacht?«, fragte ich begeistert.
»Braffe … din . Heute in einer Woche sollt ihr nach Gabun fahren. Wir lassen alles zurück. Und sag deiner Schwester kein Wort, d'accord? Sie würd's nicht verstehen.«
»Ja, ja.«
»Den Leuten, die uns kennen, sag ich, wir ziehen wieder nach Braffe.«
An diesem Abend wollte ich unbedingt aufbrechen und war so angewidert von meiner Umgebung, dass ich nichts essen, ja nicht einmal Wasser trinken konnte. In allem, was mich umgab, sah ich meine Pateneltern, hörte ich ihre Stimmen in der Ferne, ihr Gemurmel im Wind. Ich blickte oft aus dem Fenster und wünschte mir, ich könnte die Sonne wie eine Kerze ausblasen oder die Welt auf den Kopf stellen, damit das Him
melsgestirn im Meerwasser ertrank. Ich flehte Gott an, uns die dunkelste aller Nächte zu schicken.
Als sich die Nacht herabsenkte, brachte sie leider nur eine mäßige, enttäuschende Dunkelheit. Fofo leerte die Wasserfässer und warf unsere Suppen fort. Ich weckte meine Schwester und zog sie an, obwohl sie noch halb schlief. Wir trugen unsere Alltagssachen. Bis auf unsere Bücher, die Fofo in seine Tasche stopfte, um sie dann am Lenker der Nanfang zu befestigen, nahmen wir nicht viel mit. Allerdings vermutete ich, dass Fofo, so ausgebeult wie seine Hosen- und Hemdtaschen waren, unser ganzes Geld dabeihatte.
Die Sterne kamen hervor; tief und rund hing ein voller Mond am Himmel und leuchtete durch eine Gischt schmutziger Wolken herab. Es war so hell, dass der Mangobaum und die Büsche unscharfe Schatten warfen, und man konnte bis zum Meer sehen; die Kokospalmen wirkten wie ein endlos weiter, durchschimmernder Rock. Als Fofo die Nanfang nach draußen schob, tauchte der Mond den Tank in mattes Licht. Und auch wenn ich längst all unsere Gabuner Reichtümer verabscheute, hoffte ich in dieser Nacht doch, dass uns das Motorrad in Sicherheit brachte.
Es wehte ein heftiger Wind. Er schleuderte die Schreie einer Eule hinaus in die Nacht, einen unverkennbaren Refrain in der Kakophonie der Insekten und dem Rauschen der Palmwedel. Plötzlich verebbte der Wind und erstarb, die Bäume, die er in eine Richtung gebogen hatte, richteten sich ruckartig wieder zu normaler Haltung auf. Ein Palmenstamm brach und krachte zu Boden, und eine Zeitlang schwiegen die Kreaturen der Nacht.
Fofo versperrte die Tür mit Kette und Vorhängeschloss, und Yewa durfte nicht auf ihrem gewohnten Platz sitzen, auf dem Tank, da sie noch nicht ganz wach war. Stattdessen quetschten wir meine Schwester zwischen uns. Mit den Füßen dirigierte ich ihre Füße, damit sie auf den Fußrasten blieben. Wir hatten
nicht viel Platz. Fofo vermied es, den Motor wie sonst aufheulen zu lassen, und gleich jenen, die aus Sodom und Gomorrha geflohen waren, blickte ich nicht einmal zurück, sondern sah nur geradeaus. Unser Scheinwerferlicht war nicht besonders hell, weshalb uns die vielen Schlaglöcher zwangen, langsam zu fahren. Der stete, tröstliche Ton der sanft brummenden Nanfang störte die nächtliche Stille. Fofo kannte den Weg gut, da er ihn jeden Tag fuhr, kurvte von einer Seite zur anderen und wich mühelos allen Schlaglöchern aus. Die Straße führte uns vom Meer fort zu jener Ansammlung von Gebäuden, die unweit von unserem Haus standen. Im Mondlicht wirkten sie verlassen; die davor stehenden, langen, leeren Tische sowie die Stände, in denen die Dorfbewohner tagsüber ihre Waren verkauften, sahen wie die Skelette prähistorischer Tiere aus.
Nach einer Weile schaute ich doch zurück und sah hinter uns zwei helle Lichtpunkte. Sie waren weit fort und schienen kreuz und quer über die Straße zu wandern, als spielten zwei Kinder mit Taschenlampen. Fofo sah in den Rückspiegel, dann drehte er sich um, woraufhin das Motorrad ein wenig schwankte. Er fing die Nanfang wieder und gab etwas mehr Gas.
»Komm, lass uns ganz schnell fahren«, rief meine Schwester, die jetzt völlig wach war.
»Die Straße ist zu schlecht«, sagte Fofo. »Hast keine Augen im Kopf? Soit patient , bis wir auf der Cotonou-Ouidah Road sind.«
»Wohin fahren wir?«, wollte meine Schwester wissen.
»Nach Hause«, sagte ich.
»Nach Braffe?«, fragte sie lächelnd und versuchte, mir ins Gesicht zu sehen, was ihr nicht gelang, da wir zu eng beieinanderhockten.
Wir fuhren
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