Sag niemals nie
brauche.«
Ach, weil dich jeder kennen
muss, oder was?
Serena wäre am liebsten sofort
gegangen - sie war immerhin zehn Minuten geblieben, ihre Eltern konnten sich
wahrlich nicht beschweren. Aber in diesem Moment kam Mr Parris senior wieder
auf sie zugehumpelt, um mit ihr zu plaudern, und sie wollte nicht unhöflich
sein.
»Ihre Mutter erzählte gerade,
was für eine begabte Schauspielerin Sie sind«, bemerkte er in seinem charmanten
New-England-Akzent. Er schob seine bordeauxrotblau gestreifte Fliege zurecht.
»Wissen Sie, während meiner Zeit in Yale habe ich in insgesamt neunzehn
Stücken die Hauptrolle spielen dürfen. Damals waren Frauen noch gar nicht an
der Universität zugelassen. Ich habe ein paar alte Fotografien. Wenn Sie
möchten, kann ich Sie Ihnen gern mal zeigen.«
»Nicht doch, Granddad!«,
zischte Stan 5 verlegen.
»Au ja, sehr gern«, erwiderte
Serena, die sich für ihr Leben gerne alte Fotografien ansah. Sie liebte die
aufwändigen Kleider, die dramatisch aufgetürmten Frisuren und all die Hüte,
Handschuhe und Handtaschen, die immer farblich auf die Schuhe abgestimmt waren.
Stan 5 schaute verdutzt, als
könne er nicht glauben, dass Serena ihn wegen seines runzligen, alten
Großvaters stehen ließ. Sie warf ihm dasselbe liebenswürdige Lächeln zu, das
ihre Mutter seinem Großvater geschenkt hatte, und folgte Mr Parris dem Älteren
einen schmalen Flur entlang, der in die Bibliothek führte. Sein rechtes Bein
schien ihm Probleme zu bereiten, er hatte links etwas Schlagseite, weshalb sie
ihn besorgt am Ellbogen seines eleganten grauen Nadelstreifen-Jacketts fasste
und stützte, damit er nicht fiel.
Mit Ausnahme der blauen Tapete
mit den goldenen bourbonischen Lilien war die Bibliothek ganz in Brauntönen
eingerichtet. Von der Decke hingen drei Kristalllüster und um einen reich
bebilderten antiken Kartentisch waren vier schokoladenbraune lederne Clubsessel
angeordnet.
»Das da bin ich im
>Hamlet<.« Mr Parris deutete auf eine große Schwarz-weiß-Fotografie über
dem Kamin. Serena erwartete, ein Bild des jungen Mr Parris als hitzigen, hochmütigen
Prinz in Rüstung zu sehen, aber das Foto zeigte eine wie tot daliegende schöne
junge Frau mit schmalem Gesicht und einem deutlichen Grübchen im Kinn. Sie
hatte die lang bewimperten Augen geschlossen, die Hände über der Brust gefaltet
und trug eine Gänseblümchenkette im offenen blonden Haar.
»Das sind Sie?«, fragte Serena erstaunt.
Der alte Mann gluckste
belustigt. »Ganz recht. Ich war damals ein hübscher Bursche und durfte die
Ophelia spielen.«
Serena betrachtete das Foto.
»Wow. Sie sahen ganz schön scharf aus.«
Mr Parris tätschelte ihr die
Hand. »Ja, ich war ein flotter Käfer. Und ich konnte vor allem viel schöner
sterben als die anderen Kerle.« Er ging zum Barschrank in der Ecke, füllte zwei
schwere geschliffene Gläser mit Scotch und stellte sie auf den Tisch. Dann zog
er ein abgeschabtes grünes Lederalbum aus einem Regal, blätterte darin und
deutete auf einen der Clubsessel. »Ich habe hunderte von Fotos«, warnte er.
Serena setzte sich und trank
einen Schluck von ihrem
Whisky. Dann lehnte sie sich
zurück, zog die Beine an und griff nach dem Album. Sie fühlte sich in der
gemütlichen Bibliothek wohl und die Fotoalben mit den Yale-Fotos von Stanford
Parris III interessierten sie wirklich. Während sie bedächtig die Seiten mit
den Schwarz-weiß-Fotos des jungen Mr Parris und seiner gut aussehenden
Kommilitonen aus der Theatergruppe umblätterte, wurde ihr bewusst, dass sie gar
nicht darüber nachgedacht hatte, dass man an der Uni ja auch Schauspiel
studieren konnte. Sie stellte sich vor, die Ophelia wie Mr Parris zu spielen:
flatternd die Augen zu schließen und dann wie eine welke Blüte in sich
zusammenzufallen, wenn es Zeit war zu sterben.
»Hier, das bin ich in >Der
Widerspenstigen Zähmung<.« Dieselbe schmalgesichtige Schönheit. Diesmal
blickte sie trotzig mit dunklen, blitzenden Augen in die Kamera, das Kinn mit
dem Grübchen verächtlich vorgereckt. »Eine echte Hexe, diese Katharina!«
Serena betrachtete das Foto
eingehend. Mr Parris' Katharina erinnerte sie an jemanden, den sie kannte, ihr
fiel nur nicht ein, an wen.
Kleiner Tipp gefällig? Ihr Name
beginnt mit B.
Während Serena weiterblätterte,
arbeitete ihr Gehirn auf Hochtouren. Yale war die einzige Universität, deren
Studenten sie nicht mit aufdringlichen Fan-Mails bombardierten. Selbst die
Whiffenpoofs, Yales Männer-A-ca- pella-Chor, die sie
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