Saga von Dray Prescot 22 - Jikaida-Zyklus 04 - Ein Sieg für Kregen
Sprossen auf einmal nahm. Sollte eines der Hölzer unter meinen Füßen brechen ... Aber die Leiter hielt. Ich erreichte den ausgebauten Boden und sah mich einer halb geöffneten Tür gegenüber, in der eine Mineralöl-Lampe schimmerte. Schatten bewegten sich.
Im Heuschober – so hatte sich Quienyin ausgedrückt.
Tyfar hastete hinter mir die Leiter herauf.
Mit drei Schritten war ich an der Tür.
Ich streckte die Hand aus, um die Tür aufzustoßen.
Abrupt wurde sie zurückgerissen.
Ich starrte in das Licht der Öllampe. Heu war bis unter das Dach aufgestapelt. Vor mir stand eine Frau. Der Bogen in ihrer Hand war gespannt, die Stahlspitze des Pfeils zielte auf meine Brust. Der Mann, der die Tür aufgerissen hatte, erschien nun ebenfalls. Die beiden verhielten sich sehr geschickt. Der Bogen ließ sich mühelos auslösen; sein Pfeil würde mich durchbohren.
»Rühr dich nicht, Dom«, sagte der Mann. Er war ein kräftig gebauter Apim mit einem spitz zulaufenden braunen Bart. Seine Augen waren dunkel, und das breite energische Gesicht zeigte einen solch unbändigen Zorn, daß ich sofort gewarnt war. »Eine Bewegung – und ihr werdet aufgespießt!«
»Stillstehen!« forderte die Frau.
Sie hatte eine sanfte, wohlklingende Stimme, die ich unter normalen Umständen als sehr angenehm empfunden hätte. Sie trug eine rötliche Tunika und eine dazu passende Hose, die sehr eng saß und um die Hüfte einen breiten braunen Gürtel mit einer funkelnden Goldschnalle. Ihr Gesicht lag leider im Schatten, doch gewann ich einen Eindruck von Festigkeit, von zielstrebiger Entschlossenheit. Ihre großen braunen Augen richteten sich auf mich.
»Wir werden uns alle sehr still verhalten ...«, begann ich.
Der Mann fluchte heftig.
»Du sprichst, wen du gefragt wirst, Dom, nicht eher! Du bist dem Tode nahe.«
»O gewiß«, gab ich zurück. »Das trifft für uns alle zu ...«
Der Mann hob die Faust, und seine Nasenflügel verengten sich.
»Kaldu!« Die Stimme der Frau verriet, daß sie es gewöhnt war, Befehle zu geben und zu sehen, daß sie ausgeführt werden. »Sei still, Kaldu! Diese beiden Horter sind nicht zufällig hier.«
»Sie wollen uns Böses antun, meine Dame. Laß mich ...«
»Hör mit dem Blödsinn auf und tu, was deine Herrin dir sagt. Wir müssen schleunigst von hier weg. Die Wache kommt. Wo sind ... wo sind der Verwundete und sein Begleiter?«
Die Hand mit dem Bogen zitterte nicht. Es war eine große Reflex-Waffe, die enorme Kräfte erforderte; das Mädchen hielt sie und den Pfeil gekonnt. Eins stand für mich fest, diese rätselhafte Frau war eine hervorragende Bogenschützin.
»Ihr wißt Bescheid? Aber woher? Die Wache ...?«
»Kaldu, ich bitte dich, halt den Mund«, sagte ich. »Wir müssen sofort von hier verschwinden.«
»Ich glaube dir«, sagte die Frau und senkte den Bogen.
Ich hörte Tyfar zittrig ausatmen. Er hatte sich nicht so sehr wie ich auf das Können der Bogenschützin verlassen. »Aus welcher Richtung rückt die Wache an?«
»Aus der Richtung des Boulevards der Tausend ...«
»Schön. Dann müssen wir über das Dach der dahinter liegenden Bäckerei laufen. Kaldu, du holst Barkindrar. Gib Nath Bescheid.« Sie fuhr zu Tyfar und mir herum. »Ich weiß – noch – nicht, wer ihr seid. Aber wenn ihr uns verraten wollt ...«
»Barkindrar und Nath sind meine Leute«, meldete sich Tyfar. »Meine Dame, ich hoffe, daß sie nicht übel zugerichtet ...«
»Sie können laufen.«
Tyfar zuckte zusammen.
»Das wollen wir dann auch alle tun«, sagte ich, »bei Havil dem Grünen!«
Das Mädchen warf mir einen stechenden Blick zu. »Havil«, sagte sie. »Du bist Hamalier?«
»Ja ...«, setzte Tyfar an.
»Havil«, sagte ich hastig, »ist in ganz Havilfar bekannt. Jetzt aber genug geplaudert.« Barkindrar und Nath erschienen, gestützt von Kaldu, der die beiden überragte. »Kommt, ihr beiden Famblys, wir müssen fliehen.«
Die beiden wollten etwas sagen, da dröhnte lautes Hämmern auf, und zwar vorn wie hinten.
»Die Wache!« rief Kaldu. »Es ist zu spät!«
»Nein!« fauchte das Mädchen, das in diesem Augenblick wie eine tobende Zhantilla aussah, wild, erzürnt, prächtig. »Zu spät ist es erst, wenn man nicht mehr lebt!«
8
Die Bäckerei lehnte sich an den Stall, als wollten sich die beiden Gebäude gegenseitig abstützen. Der Duft nach frisch gebackenem Brot kämpfte gegen den scharfen Mistgestank vom rückwärtigen Hof. Ehe wir durch die gegenüberliegende Tür in die Bäckerei
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