Saga von Dray Prescot 30 - Pandahem-Zyklus 04 - Die Klauen von Scorpio
zu drohen. Zumindest keine Gefahren aus dieser Richtung. Als ich wieder auftauchte und emporschaute, starrte kein einziges Gesicht über die Reling zu mir herunter. Die Galeone rollte leicht. Zweifellos hatte man einen Mann aus dem Mast des Argenters stürzen und im Meer verschwinden sehen. Die Seeleute wußten, was für Raubtiere unter Wasser ihr Unwesen trieben. Sie mochten beiläufig hinabschauen – doch auf keinen Fall würden sie damit rechnen, daß dieser Mann auf der anderen Seite des Schiffes wieder zum Vorschein kam.
Ich brüllte los.
Dreimal atmete ich tief ein und tauchte, das Messer in der Hand, und schaute wachsam in die Runde, ehe ich wieder hochkam und erneut einen Ruf ausstieß.
Nach dem letzten Laut erschien ein Haarschopf an der Bordwand über mir und fragte mit schwerer Stimme: »Ho-he! Woher kommst du denn, Dom?«
»Wirf eine Leine herab, dann sag ich's dir.«
»Ach, eine Leine ... o aye.«
Gleich darauf klatschte neben meinem Kopf eine Leine ins Wasser, und ich packte das Ende und wurde tropfnaß über die Bordwand gezogen. Im letzten Augenblick dachte ich noch daran, das alte Seemannsmesser fortzustecken. Das Meer hatte es noch einigermaßen abgespült.
An Deck schüttelte ich den Kopf und blinzelte, schnaubte – und war bereit, den neuen Gefahren ins Auge zu blicken.
Das Wesen, dem der Haarschopf gehörte, war ein Brokelsh, dessen Nase wie ein schwarzer Schwamm aussah. Er starrte mich aus aufgerissenen Augen an.
Auf der anderen Schiffsseite drängelten sich Männer und starrten zur Jungfrau von Tuscurs hinüber, die behäbig auf der Stelle schaukelte. »Danke für die Leine, Dom«, sagte ich. »Ich würde eines Tages für dich dasselbe tun.« Ohne weiteres marschierte ich auf die Leiter zum Achterdeck zu.
»Ich werde dran denken, Dom!« rief der Brokelsh hinter mir her. »Daß du es nicht vergißt! Ich heiße Bango Baragon und stamme aus Ovvend. Denk daran, wenn es soweit ist.«
Ich lachte nicht, auch wenn mir das angesichts seiner Mähne und der eingedrückten Nase schwerfiel, bei Krun! Ich legte eine Hand an die Leiter – und wurde im gleichen Augenblick schmerzhaft von einer Pike berührt. Ich zuckte zusammen. Kein Zweifel – auf meinem Gesicht mußte sich die Wut ablesen lassen.
»Du hättest mir beinahe die Hand abgehackt, Dom!«
»Aye«, antwortete der Bursche, der oben an der Leiter stand. Er trug eine metallbeschlagene Lederrüstung und die hellblau gestreiften Ärmel, wie sie für Ovvend typisch sind. »Und solltest du versuchen, unaufgefordert heraufzusteigen, geht's dir gleich auch noch an Kopf und Kragen, bei Vox!«
Einige Seeleute und Pachak-Seesoldaten kamen herbei und starrten mich an, wie ich da stand und das Deck naßtropfte. Sie waren bewaffnet und hatten natürlich keinerlei Angst vor mir. Sie waren lediglich neugierig und vorsichtig.
»Sag Kapitän Insur ti Fotor, daß ich ihn sprechen ...«
»Ich soll ihm so etwas sagen! Ach? Eine höfliche Zunge könnte dir dabei helfen, den Kopf auf den Schultern zu behalten!«
Ein Jüngling mit rot angelaufenem Gesicht schaute über die Reling des Achterdecks zu mir herab. Ich kannte ihn nicht. Er trug einen versilberten Metallhelm in den Farben Ovvends. Vermutlich war er aus edlem Hause und absolvierte hier an Bord seine Grundausbildung, um eines Tages selbst einen dieser schmucken Jagdhunde des Meeres zu befehligen. Er mochte ein Weichling, ein Nichtsnutz, ein Autokrat sadistischen Humors sein, vielleicht war er auch ein mutiger Bursche und fest entschlossen, sein Handwerk eines Tages gut zu beherrschen. Ich schaute zu ihm auf und rief: »Kapitän Insur ti Fotor! Wenn dir deine Haut etwas wert ist, Junge, dann springst du los und holst ihn!« Dann benutzte ich das Wort, das ihn zusammenfahren ließ: »Bratch!«
Er errötete noch mehr, richtete sich auf, öffnete den Mund, sah mein Gesicht – und bratchte.
Der Wächter an der Leiter versuchte mir mit seiner Pike auf den Kopf zu schlagen. Im Grunde konnte ich ihm das nicht verdenken. Ich duckte mich, riß an der Waffe, so daß er die Leiter herabstürzte und sich eine blutige Nase holte. Ein Pachak hob seinen oberen linken Arm, sein Gefährte streckte den unteren rechten Arm vor. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann würden sie sich alle auf mich stürzen – dabei hatte ich wahrlich nicht die Absicht, sie zu bekämpfen, weder zusammen noch einzeln.
»Insur!« brüllte ich, so laut ich konnte.
Insur ti Fotors eigentlicher Nachname – Varathon – war von uns
Weitere Kostenlose Bücher