Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
Erwartungen. »Besonders viele Möglichkeiten haben wir da nicht, auch wenn die Humangenetik in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat. Zumindest seine Rassenzugehörigkeit dürfte sich aber in etwa feststellen lassen.«
»Man könnte dann also sagen, woher er stammt?«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Ich werde eine vollständige anthropometrische Untersuchung in Auftrag geben: Statur, Gesichtsform, Ohrmuscheln, Kinn … und anschließend eine anthropogenetische Analyse zur Absicherung der gewonnenen Angaben. Die Angehörigen einzelner Völker unterscheiden sich genetisch auf ganz bestimmte Weise voneinander. Außerdem werde ich einen phylogenetischen Wert ermitteln lassen, der mir zeigen kann, welcher Rasse der Mann angehört. Allerdings wird das seine Zeit dauern. Außerdem muss ich bestimmte Untersuchungen delegieren, denn die forensische Anthropologie ist nicht mein Spezialgebiet.«
»Tu, was nötig ist, aber achte bitte darauf, dass alles streng vertraulich bleibt. Du weißt, dass ich auf eigene Faust an dem Fall arbeite.«
»Du darfst ganz beruhigt sein. Meinen Leuten kann ich in jeder Hinsicht vertrauen. Gleich morgen werde ich zum gerichtsmedizinischen Institut gehen und Mascaró um ein DNA-Muster der Leiche bitten. Für den Fall, dass er bohrende Fragen stellen sollte, werde ich ihm sagen, dass es sich um eine interne Angelegenheit unserer Abteilung handelt. Ich glaube aber nicht, dass er uns Steine in den Weg legen wird.«
»Ruf mich an, sobald du was rausbekommen hast.«
Mabel rieb sich die brennenden Augen. Sie hatte einen großen Teil des Vormittags damit zugebracht, im Internet festzustellen, wer in Katalonien Tätowierungen und Piercings durchführte. Mehrere DIN-A-4-Blätter voller Adressen lagen neben dem Bildschirm, obwohl sie ihre Suche einstweilen auf Barcelona konzentriert hatte. Um die Liste abzuarbeiten, wollte sie mit ihrer Suche in der Stadtmitte beginnen und von da aus den Kreis nach und nach erweitern, um keine Adresse auszulassen. Sie druckte das letzte Blatt aus, fuhr den Rechner herunter, faltete die Blätter zusammen und steckte sie in ihre Handtasche. Bevor sie ging, warf sie noch einen raschen Blick auf das Foto der Tätowierung unter der Zunge des Toten von Bogatell. Selbst für jemanden wie sie, die nicht das Geringste von der Sache verstand, war unverkennbar, dass es sich um eine meisterliche, ja, um eine geradezu künstlerische Arbeit handelte.
Die meisten Tätowierstudios lagen in der Altstadt: im Barrio Gótico, im Raval, im Paralelo, im Barrio de Ribera und in Barceloneta … Nach jedem Besuch hakte sie den Namen auf ihrer Liste ab und suchte das nächste Studio auf, teils zu Fuß, teils mit öffentlichen Verkehrsmitteln, und nur ganz selten im Taxi. Dabei geriet sie in finstere Gassen, in denen Drogenhändler ihrer Tätigkeit nachgingen, kam in Räume, die nicht den geringsten sanitären Ansprüchen genügten, suchte Tätowierer in unsagbar schmuddeligen Stuben auf, in feuchten und übelriechenden Kellergeschossen, durchblätterte Kataloge mit Tausenden von Mustern und Symbolen. Allen Tätowierern zeigte sie das Foto mit dem Hund und dem Hahn, für den Fall, dass jemand das Motiv kannte, doch niemand vermochte ihr zu sagen, wer diese Arbeit ausgeführt haben könnte.
Manche fertigten sie äußerst unfreundlich ab, andere zeigten sich von ihrer liebenswürdigen Seite und erklärten ihr in Einzelheiten die Geheimnisse ihrer Kunst, Muster zu stechen und Körperteile zu durchbohren. Mehrere empfahlen ihr, sich an Hans Heisenberg zu wenden, einen Meister aus Deutschland, der sich um die Zeit der Olympischen Spiele in Barcelona niedergelassen hatte und als bester und teuerster Tätowierer der Stadt galt. Obwohl er seiner Tätigkeit in der Calle Arc del Teatre, mitten im verrufenen Hafenviertel, völlig illegal nachging, rannten ihm junge Aristokraten und Sprösslinge von Großbürgern förmlich die Tür ein, um sich den Körper mit Motiven verzieren zu lassen, mit denen Heisenberg auch in einer Kunstgalerie hätte glänzen können.
Mabel machte sich die Rambla entlang auf den Weg nach der genannten Straße. Dort hatte sich in früheren Jahren die Prostitution konzentriert, und sie war auch jetzt noch voller Animierlokale, Sexshops, übel beleumdeter Bars, billiger Stundenhotels und anrüchiger Nachtlokale, in denen dürre Animiermädchen den auf rotsamtenen Polstern sitzenden Gästen aus großen Karaffen Whisky einschenkten.
Sie kam an
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