Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
hervorragend schmeckte. Er nickte anerkennend, was die Frau zu freuen schien.
»Ich bin Julije Penkala«, sagte der Mann, ohne sein Glas anzurühren, »Andrijas jüngerer Bruder. Sie müssen verstehen, dass meine Mutter seit dem Krieg Fremden mit Misstrauen begegnet. Was möchten Sie wissen?«
»Wo ist Ihr Bruder umgekommen?«
»In Dubrovnik. Er hat sich freiwillig zur Verteidigung der Stadt gemeldet. Beim Angriff der Serben vom sechsten Dezember 91 hat er zusammen mit anderen Patrioten Baudenkmäler mit blauen Fahnen gekennzeichnet, um sie vor Artilleriebeschuss zu bewahren. Aber die Serben haben das überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Sie wollten die Moral der Bevölkerung von Dubrovnik um jeden Preis brechen und nutzten die blauen Fahnen als Zielscheiben. Andrija befand sich im Franziskanerkloster, als es von einer Artilleriegranate getroffen wurde. Dabei ist er umgekommen.«
»Haben Sie seinen Leichnam gesehen?«
»Er war völlig zerfetzt«, erinnerte sich der Bruder. »Die Granate hatte ihm Arme und Beine abgerissen. Wir haben ihn hier in Blato beerdigt, inmitten unserer Weinfelder.«
»Ich würde Ihnen gern ein Foto zeigen«, sagte Munárriz zögernd.
Da der Mann nickte, nahm er es heraus, legte es auf die Wachstuch-Tischdecke und schob es dem Mann hinüber. Die Frau trat beiseite, um es nicht ansehen zu müssen. Alles, was mit dem Krieg zu tun hatte, machte ihr Angst. Noch jetzt weinte sie jeden Tag um ihren Ältesten.
»Das ist nicht Andrija«, erklärte der Mann.
»Sind Sie sich sicher?«
Julije sagte etwas zu seiner Mutter, woraufhin diese nach oben ging und schon bald mit einem Schwarz-weiß-Foto im Lederrahmen zurückkehrte. Es zeigte einen jungen Mann in Militäruniform neben der rot-weiß gewürfelten kroatischen Flagge. Darunter stand: Andrija Penkala, Blato, 5 siječanj 1959 – Dubrovnik, 6 prósinac 1991.
»Mein Bruder hat das an dem Tag aufnehmen lassen, an dem er geschworen hat, die Fahne unseres Landes zu verteidigen«, erinnerte sich Julije. »Ich durfte nicht kämpfen, weil ich erst fünfzehn Jahre alt war.«
Munárriz nahm das Foto zur Hand und sah es aufmerksam an. Es wies nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Gesicht der Leiche von Bogatell auf. Jemand musste sich die Identität des Gefallenen angeeignet haben. Er gab das Foto zurück, dankte für die Bewirtung und die freundliche Unterstützung und kehrte nach Dubrovnik zurück.
Vom Balkon seines Zimmers im Hilton Imperial sah Munárriz entmutigt auf das Pile-Tor. Seine Hoffnung, den Toten von Bogatell zu identifizieren, hatte sich zerschlagen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich sein Scheitern einzugestehen und aufzugeben. Nie würde er erfahren, wer Begoña Ayllón auf dem Gewissen hatte. Er war in einem Labyrinth gefangen, aus dem kein Weg hinausführte. Die Mitglieder des Ordens von Hund und Hahn bewegten sich ungesehen und hinterließen keinerlei Spuren ihres Tuns. Auf diese Weise hatten sie vermocht, sich länger als ein Jahrhundert dem Zugriff der Justiz zu entziehen. Er musste seine Ermittlung aufgeben und zurückkehren. Mabel brauchte ihn, und er durfte Castilla nicht länger zumuten, sich um sie zu kümmern. Da er erst für den nächsten Tag einen Flug nach Zagreb bekommen hatte, wollte er die Gelegenheit nutzen, sich Dubrovnik anzusehen, den Zauber einer mittelalterlichen Stadt entdecken, die Jahr für Jahr von Millionen Menschen besucht wurde. Was hätte er auch sonst tun können?
So strebte er, Tourist unter Touristen, dem von der alten Mauer umgebenen Stadtkern entgegen. Zur Seeseite hin erhoben sich majestätisch die alten Befestigungsanlagen. Über dem Eingang zur Burg Lovrijenac sah er die lateinische Inschrift eingemeißelt: Non bene pro toto libertas venditur auro , nicht für alles Gold der Welt darf man seine Freiheit verkaufen. Er ging zum Milićevića-Platz weiter und sah zur Rechten den im 15. Jahrhundert von dem Neapolitaner Onofrio della Cava erbauten prunkvollen großen Brunnen. Dahinter lag das Franziskanerkloster, wo Andrija Penkala umgekommen war. Man sah den Glockenturm mit seinen Drillingsfenstern und einer spätgotischen Arkade. All das war im Krieg zerbombt und inzwischen vollständig neu aufgebaut worden. Er ging über die Stradun , die Hauptgasse des mittelalterlichen Dubrovnik, in der sich kleine Läden, Restaurants und Cafeterias mit skandalös überhöhten Preisen drängten. In einer Stadt, die sich in eine Bühnendekoration ihrer eigenen Vergangenheit verwandelt hatte,
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