Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
etwas nützt – sie hat nie bei mir gebeichtet und mir auch nie etwas Persönliches anvertraut. Ich glaube nicht, dass sie seit ihrer Firmung noch einmal zur Beichte gegangen ist. Sie war kein religiöser Mensch, sondern hat lediglich der Form halber einige Riten unserer Kirche befolgt, um ihre Eltern nicht unnötig vor den Kopf zu stoßen.«
»Ihr Verlobter hat mir gesagt, dass etwas sie zu beunruhigen schien.«
»Sie hat mich am Montagnachmittag angerufen und wollte wissen, ob ich am Dienstag hier sein würde, weil sie mit mir sprechen müsse. Ich habe ihr gesagt, dass mir das gut passe, worauf sie am Dienstagnachmittag hierhergekommen ist, in die Kirche.«
»Wissen Sie, wie lange sie sich in Soria aufgehalten hat?«
»Keine vierundzwanzig Stunden«, gab er zurück. »Soweit ich weiß, ist sie am frühen Mittwochmorgen wieder abgereist.«
»Wo hat sie übernachtet?«
»Im Hotel Ciudad de Soria .«
Munárriz beschloss, dort nachzufragen, weil er auf diese Weise die genaue Dauer ihres Aufenthalts in Erfahrung bringen konnte. Er zögerte einige Sekunden, bevor er die nächste Frage stellte. Obwohl der Priester wie ein Automat antwortete, klang alles, was er sagte, aufrichtig. Er wirkte deutlich beunruhigt. Was ihm Munárriz mitgeteilt hatte, war ihm offenbar tief in die Seele gefahren. Mit seinen Antworten hatte er ihn, ohne es zu wissen, auf eine neue Fährte gebracht. Inzwischen überlegte Munárriz, wo sich Begoña Ayllón zwischen Mittwoch und Freitag aufgehalten haben mochte.
»Sie haben mit ihr ausschließlich über Kunst gesprochen?«, erkundigte er sich.
»Ja. Nun, natürlich auch über ihre Eltern und ihren Verlobten … Aber nur nebenbei. Sie war hergekommen, weil sie sich die Wallfahrtskapelle San Bartolomé näher ansehen wollte und hoffte, dass ich sie dorthin begleiten würde.«
»Steht die hier am Ort?«
»Nein«, gab der Priester mit einem Lächeln zurück, das der Unkenntnis seines Besuchers galt, »in der Nähe von Ucero. Es ist eine herrliche Gegend.«
»Und was wollte sie dort?«
»Offen gestanden weiß ich das nicht«, teilte ihm der Priester nachdenklich mit. »Sie kannte sie bestens, was kein Wunder ist, schließlich hatte sie die Kapelle schon als Kind mehrfach aufgesucht. Später haben wir dort viele Stunden mit Gesprächen über die Kunst des Mittelalters und darüber zugebracht, wie die Leute es damals geschafft haben, ein nahezu vollkommenes Gleichgewicht herzustellen. Ich denke, dass sie sich dort entspannen konnte.«
»Ist das alles?«
»Eigentlich ja. Wir sind eine Weile zum Río Lobos hinabgegangen, der ganz in der Nähe fließt, haben miteinander geplaudert und sind dann wieder hierher zurückgekehrt.«
»Hat sie sich für etwas Spezielles interessiert?«
»Etwas Spezielles wohl nicht«, sagte der Priester zögernd, während er überlegte, ob er sich an irgendwelche Besonderheiten erinnern konnte. »Aber sie wollte unbedingt meine Meinung zu den Kragsteinen und der Rosette der Kapelle wissen.«
»Bitte verzeihen Sie meine Unwissenheit auf diesem Gebiet«, sagte Munárriz, »aber könnten Sie mir freundlicherweise erklären, was Kragsteine sind?«
»Gern«, sagte der Priester. »Es sind im Grunde genommen einfach Steine, architektonische Elemente, die aus einer Mauer vorspringen, um etwas zu stützen: sei es ein Gesims, ein Vordach oder eine Dachkonstruktion. Eine Rosette wiederum, die man geradezu als das Kennzeichen mittelalterlicher Kunst ansehen kann, ist ein kreisförmiges Schmuckelement, das zur Auflockerung einer Fläche dient. Wenn wir hinausgehen, zeige ich Ihnen die Rosette und die Kragsteine der Kirche Santo Domingo, in der wir uns befinden, damit Sie besser verstehen, worum es geht. Ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte.«
»Jetzt gleich?«, fragte Munárriz, als der Priester aufstand.
»Ja. Ich möchte zu Mittag essen«, beschied ihn dieser und legte sich eine Hand auf den Leib. »Immerhin ist es zwei Uhr. Mein Magen knurrt wie ein böser Wolf. Kommen Sie mit. Es wird mir ein Vergnügen sein, unser Gespräch bei einer typischen sorianischen Mahlzeit fortzusetzen.«
Er klopfte die Pfeife im Aschenbecher aus, wechselte den Filter und schob sie dann zusammen mit dem Tabaksbeutel in die Tasche seiner Soutane. Nachdem sie die Sakristei verlassen hatten, wies er den Küster an, den Tabernakel und die Kirchentür gut zu verschließen.
»Es kommt in letzter Zeit immer wieder zu Kirchenschändungen und zum Diebstahl geweihter Hostien für
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