Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
achtunddreißigtausend Jahren mit dem Auftreten von Homo sapiens in der Steinzeit entstanden?«
Munárriz hob fragend die Brauen.
»Das weiß niemand. Doch unbestreitbar ist die Kunst ein Spiegelbild der Gesellschaften, die sie hervorbringen. So passt die Kunst des Mittelalters in vollkommener Weise zum Denken jener Epoche, mit dem Ergebnis, dass jemand, der sich mit ihr beschäftigt, die Gesellschaft des Mittelalters verstehen kann.«
»Worüber haben Sie mit ihr gesprochen?«
»Über persönliche Dinge«, beschied ihn der Priester in verweisendem Ton, beinahe scharf. »Erscheint Ihnen diese Frage nicht ziemlich taktlos? Immerhin könnte hier das Beichtgeheimnis ins Spiel kommen. Sie sollten mein Entgegenkommen nicht übermäßig auf die Probe stellen«, mahnte er. Dabei wedelte er ihm energisch mit dem Finger vor dem Gesicht herum. »Ich habe Ihre Fragen aus Zuneigung zu Begoña beantwortet, aber ich glaube nicht, dass ich bereit bin, weiter mit Ihnen zu sprechen, wenn Sie in dieser Richtung fortfahren.«
»Entschuldigung«, beeilte sich Munárriz zu sagen. »Ich wollte nicht in Ihre Privatsphäre eindringen.«
Der Priester sah ihn schweigend an und griff nach einer zweiten Pfeife. Während er sie wortlos stopfte, überdachte Munárriz sein weiteres Vorgehen. Er wollte den alten Herrn nicht mit seinem Verdacht beunruhigen, doch wenn er etwas von ihm erfahren wollte, würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als ihm reinen Wein einzuschenken. Ohne triftigen Grund würde ihm der Priester den wahren Anlass von Begoña Ayllóns Besuch sicherlich nicht mitteilen. Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, drückte der Priester den Tabak mit dem Daumen fest, entzündete ihn mit einem Streichholz und nahm einige tiefe Züge, die ihn erneut zum Husten veranlassten.
»Ich möchte Sie für mein Verhalten um Verzeihung bitten«, begann Munárriz.
»Schon gut.« Der Stimme des Priesters war anzumerken, dass er sie ihm gewährte. »Ich erwarte lediglich Aufrichtigkeit und Achtung vor meinem Schmerz über Begoñas Tod. Ich habe sie geliebt wie eine eigene Tochter.«
Munárriz holte seinen Dienstausweis aus der Tasche und legte ihn aufgeklappt hin. Der Priester nahm ihn und studierte ihn so aufmerksam, als ginge es darum, die Minuskeln einer illuminierten Bibelhandschrift zu entziffern. Dann klappte er ihn zu und gab ihn Munárriz mit bekümmertem Gesicht zurück.
»Sie haben mich belogen«, sagte er ohne Vorwurf in der Stimme. »Sie haben sie gar nicht gekannt.«
»Tut mir Leid«, sagte Munárriz beschämt. »Sie haben Recht – ich habe sie am Tag ihres Todes zum ersten Mal gesehen.«
»Was also führt Sie zu mir?«, erkundigte sich Hochwürden Ramírez misstrauisch.
»Ich möchte den Ablauf der letzten Tage vor ihrem Tode rekonstruieren.«
»Wozu?«
»Es gibt da eine Unklarheit«, sagte Munárriz ausweichend.
Diese Worte schienen den Priester förmlich zu hypnotisieren. Gedankenvoll sah er dem Rauch seiner Pfeife nach, murmelte kaum hörbar ein Gebet vor sich hin – es klang wie das Vaterunser auf Latein – und bekreuzigte sich dann. Er verharrte reglos eine ganze Weile schweigend, als wäre die Zeit in der Sakristei stehengeblieben. Dann hob er das Gesicht zur Decke, damit sein Besucher nicht sah, dass ihm Tränen über die Wangen liefen. Mit einem Taschentuch, das er aus seiner Soutane holte, wischte er sich die Augen und bemühte sich, seiner Gefühle wieder Herr zu werden.
»Werden Sie mir sagen, was wirklich geschehen ist?«, bat er mit zitternder Stimme.
Munárriz berichtete alles in Einzelheiten und teilte ihm mit, dass er im Zusammenhang mit seiner privaten Ermittlung nach Soria gekommen sei, weshalb darüber nichts verlauten dürfe. Der Priester nickte stumm. Nur selten in seinem langen Leben hatten ihm die Worte gefehlt. Erneut griff er zur Pfeife, zog daran und sah Munárriz so fest in die Augen, als wollte er sie durchbohren.
»Bitte nehmen Sie mir nicht übel, was ich zuvor gesagt habe«, begann er. »Meine Unterhaltung mit Begoña unterliegt nicht dem Beichtgeheimnis. Sie können mich also danach fragen.«
»Ohne Vorbehalte?«
»Ohne Vorbehalte«, bestätigte der Priester.
»Worum ging es dabei? Es ist wichtig, den Anlass für ihre Fahrt nach Soria zu kennen.«
»Um nichts Besonderes.« Offensichtlich verwunderte ihn der Nachdruck, mit dem Munárriz gefragt hatte. »Sie müssen mir das glauben. Wir haben über Kunst gesprochen, wie fast immer. Falls Ihnen die Information
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