Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
zurück.«
Sie sah ihm nach, wie er die Stufen vor der Passionsfassade hinabging und im Inneren der Kathedrale verschwand. Da sie um sechs Uhr abends für Besucher geschlossen wurde, waren keine Touristen mehr da, was es der Polizei leichter machte, ihrer Arbeit nachzugehen. Als sich ihm ein Beamter in den Weg stellte, zeigte Munárriz seinen Dienstausweis, woraufhin ihn der Mann salutierend einließ und ihm den Weg zur Unfallstelle erklärte. Nötig gewesen wäre das nicht, es genügte, in die Richtung der Stelle zu gehen, an der immer wieder Blitzlichter aufzuckten. Von der Tür eines Baucontainers aus sah Jordi Llopart seinen Kollegen von der Spurensicherung zu, die im Inneren ihrer Arbeit nachgingen. Er schüttelte Munárriz die Hand. »Guten Abend, Inspektor. Sagen Sie bloß nicht, dass man Sie geschickt hat, damit Sie die Aufnahme eines einfachen Unfalls koordinieren …«
»Natürlich nicht. Ich bin sozusagen privat hier«, erklärte er seine Anwesenheit. »Das Opfer ist die Tochter eines guten Bekannten.«
»Ach, Sie kennen Carlos Ayllón?«
»Ja«, log er, um weitere Erklärungen zu vermeiden. »Ich hab ihn vor Jahren im Zusammenhang mit einem meiner Fälle kennengelernt, und wir haben uns ein wenig miteinander angefreundet.«
»Dann haben Sie wohl auch schon mal Marqués de Ayllón getrunken?«
»Ein erstklassiger Brandy.«
»Werd ich mir merken«, sagte der Beamte. »Was kann ich für Sie tun?«
»Der Vater ist am Boden zerstört.«
»Verständlich. Die Tochter zu verlieren, das steckt man nicht so ohne Weiteres weg.«
»Schon gar nicht, wenn es das einzige Kind ist.«
»Der Ärmste«, murmelte der Polizist mitfühlend.
»Weiß man schon Einzelheiten?«, erkundigte sich Munárriz.
»Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber der Gerichtsmediziner ist überzeugt, dass die Frau von einer Trittleiter gestürzt ist, als sie ein Buch da runterholen wollte.« Er wies nacheinander auf das bis zur Decke des Containers reichende und bis oben hin mit Büchern angefüllte Metallregal an der Wand und auf ein Buch, das am Boden lag. »Dabei ist sie wohl mit dem Kopf gegen die Tischkante geschlagen.«
»Kann ich sie mir mal ansehen?«
»Nur zu, Inspektor. Vorher aber sollten Sie Handschuhe anziehen, damit keine zusätzlichen Fingerabdrücke entstehen. Sie kennen ja die Vorschriften.«
Munárriz zog sich ein Paar Latexhandschuhe über, die ihm ein Mann von der Spurensicherung gab, trat in den Baucontainer und sah sich um. Er schien als eine Art Büro und Werkstatt eingerichtet zu sein. Die Decke war wärmeisoliert, und eine Klimaanlage, die im Sommer kühlte und im Winter heizte, war ebenso eingebaut wie in einem Nebengelass eine Chemietoilette. Sie wurde augenscheinlich durch ein Fensterchen entlüftet, das jetzt offen stand. Auf dem Boden hatte man mit groben Kreidestrichen den Umriss von Begoña Ayllóns leblosem Körper gezeichnet, um die Lage zu dokumentieren, in der man sie aufgefunden hatte. Der Beamte der Regionalpolizei teilte Munárriz mit, dass sich die junge Kunsthistorikerin auf die Sanierung von Steinmetzarbeiten spezialisiert hatte.
Ein weiterer Beamter nahm mittels einiger Wattestäbchen Blutproben von der Tischkante, um sie mit der DNA der Toten abzugleichen. Ein anderer fotografierte die Trittleiter und das Metallregal. Außerdem machte er mehrere Aufnahmen von dem am Boden liegenden Buch, der an einem Wandhaken hängenden Handtasche der jungen Frau sowie dem Arbeitstisch. Auf diesem häuften sich Papiere, Fotos und Konstruktionszeichnungen der Sagrada Familia . Neben einem Laptop lag eine Brille. Vor dem Tisch stand ein Drehstuhl mit Armlehnen und ein Papierkorb, randvoll mit leeren Getränkedosen, durchgerissenen Unterlagen, Resten belegter Brote … Mit einem Makrovorsatz machte der für die Spurensicherung zuständige Beamte Aufnahmen von den Blutflecken auf dem Tisch.
Munárriz fragte Llopart, ob man auch das Fensterchen im Toilettenabteil und die Eingangstür auf Spuren untersucht habe. Dieser bejahte und erklärte, es gebe nicht den geringsten Hinweis auf ein gewaltsames Eindringen. Die Tür sei verschlossen gewesen, und nichts lege den Verdacht auf eine Gewalttat nahe. Auch einen Raubüberfall schließe man aus, denn sicherlich hätte ein Dieb den über zweitausend Euro teuren Rechner mitgenommen und wohl auch die Handtasche ausgeräumt, die dreihundert Euro in Fünfziger-Scheinen enthalten habe. Das alles bestärke die Annahme, dass es sich um einen Unfall
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