Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
Deck. Der Kapitän bedeutete ihnen mit einer Handbewegung, dass sie sich unter eins der Rettungsboote ducken sollten. Während sie dort reglos verharrten, fuhr der Streifenwagen der Ablösung langsam am Kai entlang. Nach einer Weile war er weit genug von dem Frachter entfernt, dass sie aus ihrem Versteck herauskommen konnten. Beide zeigten dem Kapitän ihre Tätowierung unter der Zunge und wurden von ihm sogleich in den Frachtraum geführt. Dort würden sie das Land, in einem doppelten Boden unter der Ladung versteckt, als blinde Passagiere verlassen. Bedingt durch die Terrorakte von New York, Madrid und London hatte man auf der ganzen Welt die Kontrollen an den Flughäfen verschärft, und Versuche, sie zu umgehen, waren immer schwieriger und gefährlicher geworden. Daher boten inzwischen Frachtschiffe die einzige Möglichkeit, ein Land unbemerkt zu verlassen oder zu erreichen.
Von der Kommandobrücke der unter der Flagge Panamas fahrenden Alexander Nevski suchte der Kapitän durch ein Nachtglas den Kai ab. Alles schien in bester Ordnung zu sein. Die beiden Beamten der Ablösung begrüßten den Wachmann, der sein Wachbuch ausfüllte, dann fuhr der Streifenwagen wieder an und machte im Schritttempo seine Runde an den Hafenbecken entlang. Hier und da blieb er stehen, und die beiden Männer leuchteten mit einem Handscheinwerfer im Dunkeln liegende Bereiche aus, insbesondere dort, wo für die Verschiffung bestimmte Güter lagerten. Als sie in Richtung auf das nächste Hafenbecken weiterfuhren, stellte der Kapitän das Glas zurück auf den Kartentisch, drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage und gab den Befehl zum Auslaufen.
Zwei Seeleute lösten die Festmacherleinen an Bug und Heck und holten die Laufplanke ein. Über Funk teilte der Kapitän dem Diensthabenden in der Hafenbehörde seine Absicht mit und bekam die erbetene Genehmigung. Daraufhin gab er die nötigen Befehle an den Rudergänger. Tief unten im Laderaum dröhnte Dagón und Benayá in ihrem engen Versteck, in dem sie kaum Luft bekamen, ohrenbetäubend der Schiffsdiesel in den Ohren. Schon nach kurzer Zeit glaubten sie, vom Lärm um sie herum verrückt werden zu müssen.
Träge löste sich der Frachter von der Kaimauer und drehte den Bug in Richtung auf die Hafenausfahrt. Der Kapitän richtete sein Fernglas auf den Barkassenhafen an der Spitze des Adosado-Kais und gab den Befehl, die Fahrt um eine Stufe heraufzusetzen. Schon bald blieben die Signalbojen an der Hafenausfahrt zurück, der Kapitän befahl »halbe Kraft voraus«, und die Alexander Nevski gewann das offene Meer.
Eine Stunde nach dem Auslaufen übergab der Kapitän an seinen Ersten Offizier und ließ die blinden Passagiere aus ihrem Versteck holen. Die beiden kamen auf die Kommandobrücke und wiesen erneut ihre Tätowierung unter der Zunge vor. Daraufhin zeigte der Kapitän, dass auch unter seiner Zungenspitze ein Hundekopf mit einem Hahn darauf eintätowiert war.
»Willkommen an Bord«, sagte er auf Esperanto. »Es tut mir Leid, Sie da unten eingesperrt zu haben, aber das geschah im wohlverstandenen Interesse Ihrer Sicherheit.«
»Ist ja jetzt vorbei«, gab Dagón zur Antwort und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn.
»Wenn nichts dazwischenkommt«, fuhr der Kapitän fort, »erreichen wir unseren Bestimmungshafen in zwei bis drei Tagen. Genießen Sie die Fahrt dorthin.«
»Gestatten Sie, dass ich an Deck gehe, Kapitän?«, fragte Benayá. »Ich muss unbedingt frische Luft atmen.«
»Tun Sie das. Solange ich keine gegenteiligen Anweisungen gebe, dürfen Sie sich an Bord frei bewegen. Ich habe Ihnen eine Kajüte anweisen lassen. Falls Sie Hunger haben, wenden Sie sich an den Schiffskoch.«
Mit erfreutem Lächeln ging Benayá hinaus. Der Kapitän sah aus dem Augenwinkel zu Dagón hinüber und nickte kaum wahrnehmbar. Da das Schiff inzwischen mit voller Kraft lief, war der Fahrtwind mittschiffs deutlich zu spüren. Obwohl es zu tagen begann, glänzten noch Sterne am Himmel. Die Brise roch nach Jod. An die Steuerbordreling gelehnt, ließ Benayá den Blick über die unendliche Weite des Meeres bis hin zu der rötlichen Linie am Horizont schweifen, die den Tagesbeginn ankündigte. Nach so langem Eingesperrtsein in einem beengten Raum genoss er die frische Salzluft, die sein Gesicht umspielte. Unvermittelt rief ihn Dagón von hinten an.
Als er sich halb zu ihm umwandte, sah er einen auf sich gerichteten Pistolenlauf. Von der Kommandobrücke blickte der Kapitän
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