Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
Schloss, das zu diesem Schlüssel passt. Aber ich sag es noch mal: Kein Mensch kann wissen, ob sich das in Spanien, Frankreich, China oder Pakistan befindet.«
»Danke.«
»Beim nächsten Mal bringen Sie besser was richtig Schwieriges mit, bei dem ich meine Fähigkeiten beweisen kann.«
Er begleitete Munárriz zum Ausgang. Aus reiner Gewohnheit bellten die Pitbulls wütend mit geifernden Lefzen, hörten aber sofort auf, als El Manitas sie drohend anbrüllte und nach einem Baseball-Schläger griff, der auf dem Rücksitz eines ausgeschlachteten Seat lag. Er riet Munárriz, in den Straßen der Nachbarschaft besonders vorsichtig zu sein, weil dort viele Zigeuner verbotene Hundekämpfe veranstalteten und mit ihren Kötern ohne Leine und Maulkorb durch die Stadt zögen. Dann verabschiedete er sich mit einem kräftigen Händedruck und wünschte ihm Glück bei seiner Suche.
Als die Glocken einer fernen Kirche zu läuten begannen, sah Dagón auf die Armbanduhr: vier Uhr morgens. Es war Zeit aufzubrechen. Im Viertel Ribera kannte er jeden Winkel. Auf der Suche nach dem kürzesten Weg zum Getreidekai im Hafen war er zu allen Tages- und Nachtstunden wochenlang durch die Gassen nahe dem alten Markt und der Basilika Santa María del Mar gezogen, um zu erkunden, welche am wenigsten belebt waren. Auch hatte er sich genau notiert, wann im Hafen Wachen unterwegs waren, hatte von Barkassen aus, mit denen Touristen Hafenrundfahrten machen, die einzelnen Hafenbecken erkundet und auf einem Blatt, das er jetzt zu Rate zog, als Gedächtnisstütze eine Skizze angefertigt. Nichts durfte dem Zufall überlassen bleiben; es gab keinen Spielraum für Improvisation.
Auf den Rändern des Blattes, das er so oft entfaltet und wieder zusammengelegt hatte, dass es in vier Teile zu zerfallen drohte, sah er nach, wann mit Kontrollgängen der Hafenpolizei oder sonstiger Sicherheits- und Wachdienste zu rechnen war. So manche Nacht hindurch hatte er auf dem nackten Erdboden oder einem Poller sitzend so getan, als wäre er betrunken, um keinen Verdacht zu erregen, und alle Kontrollgänge und Patrouillen genauestens verzeichnet. Bei anderen Gelegenheiten hatte er sich wie ein Stadtstreicher ins nasse Gras gelegt oder auf eine Bank gesetzt. Auf diese Weise hatte er in Erfahrung gebracht, dass es beim Wachwechsel zwischen halb und Viertel vor fünf Uhr morgens einen Zeitraum von knapp fünfzehn Minuten gab, in dem niemand das Gelände im Auge behielt, so dass sie hoffen konnten, ihr Ziel ungesehen zu erreichen.
Er weckte Benayá, der auf der Luftmatratze vor sich hindämmerte, und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, dass der Augenblick zum Aufbruch gekommen war. Dieser nickte, stand auf und warf sich die graue Tasche über die Schulter. Als er zur Tür gehen wollte, hielt ihn Dagón zurück. Erst wollte er sich vergewissern, dass die Luft rein war. Er schob den Bastvorhang am Fenster beiseite und sah auf die Straße hinaus. Keine Seele war zu sehen. Der Weg war frei.
»Also auf«, flüsterte er.
»Wohin?«
»Einfach mir nach. Halt dich ganz dicht bei mir. Falls uns ein Bulle über den Weg laufen sollte, lass mich reden. Verstanden?«
Benayá nickte. Dagón lud seine Korth Stainless vom Kaliber 9 mm Parabellum durch, steckte sie unter der Tarnjacke in den Hosenbund und bedeutete Benayá, dass er jetzt die Tür öffnen könne.
»Also dann«, sagte dieser.
Sie bekreuzigten sich und sandten ein geflüstertes Stoßgebet auf Esperanto zum Allerhöchsten, damit dieser ihrem Vorhaben seinen Segen gab und ihre Schritte lenkte. Benayá sah zu Dagón hin, schob die Riegel zurück, und sie traten ins Treppenhaus. Dann schloss er die Tür ab und übergab Dagón den Schlüssel, ganz, wie man es ihm gesagt hatte.
Schweigend tasteten sie sich in völliger Dunkelheit die Treppe hinab, denn die Glühlampen auf den Absätzen waren durchgebrannt oder zerstört. Die Straße lag menschenleer vor ihnen. Nach so vielen Tagen des Eingeschlossenseins empfand Benayá die reine kühle Nachtluft als beruhigend. Er sog sie tief ein und hatte den Eindruck, dass sich seine Lunge mit neuem Leben füllte. Endlich war er frei. Dagón beschleunigte den Schritt. Eine einzelne Glocke schlug. Viertel nach vier. Noch eine Viertelstunde, bis die Wachablösung begann und ihnen zehn bis fünfzehn Minuten zur Verfügung standen, in denen sie den Getreidekai ungesehen erreichen konnten. Durch ein Gassengewirr gelangten sie an die Avenida del Marqués de L’Argentera, überquerten die
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