Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
teilnahmslos herüber. Das vom mächtigen Schiffsdiesel verursachte Zittern des Decks kam Benayá vor wie ein fernes Erdbeben, das eine Katastrophe ankündigte.
»Bist du verrückt geworden?«, rief er laut, um den Wind zu übertönen.
»Du hast einen Fehler begangen und musst dafür bezahlen.«
»Ich hab genau getan, was ich tun sollte, und die Frau aus dem Weg geräumt«, gab Benayá erregt zurück. Dabei klammerte er sich Halt suchend an die Reling.
»Aber man ist dahintergekommen.«
»Was? …«
»Jemand schnüffelt in dem Fall herum.«
»Du hast doch selbst alle Zeitungen durchgesehen.«
»Schon, aber der Orden hat Informationen bekommen.«
»Von wem? …«, stieß Benayá hervor. »Ich bin kein Verräter.«
Als er sich auf Dagón stürzen wollte, um ihm die Waffe zu entreißen, folgten zwei scharfe Detonationen rasch aufeinander, die im Geheul des Windes untergingen. Benayá sank zu Boden, Blut lief ihm über die Brust. Er schwankte einige Sekunden auf den Knien, die Arme in einem letzten Versuch ausgestreckt, sich in den Besitz der Waffe zu bringen. Dann schlug er mit einem Röcheln hin. Dagón bückte sich über ihn, fühlte seinen Puls an der Halsschlagader und schüttelte resigniert den Kopf. Befehl war Befehl. Er steckte die Waffe ein und murmelte ein kurzes Gebet, mit dem er Benayás Seele Gott anbefahl.
Der Kapitän bekreuzigte sich und trat hinzu. Mit dem Fuß drehte er den Toten um, der mit dem Gesicht nach unten auf dem Deck lag, und schloss ihm die Augen. Dann wies er zwei seiner Männer an, ihm die Taschen zu leeren und ihn über Bord zu werfen.
An Armen und Beinen schwangen sie ihn einige Male hin und her und warfen ihn dann in hohem Bogen über die Reling. Er ging sofort unter, und bald sah man nur noch Wellenkämme und von den Schrauben aufgewirbelte Gischt. Dagón nahm Benayás graue Leinentasche und schleuderte sie ebenfalls über die Reling. Die beiden Seeleute gossen Kübel voll Wasser auf dem Deck aus, um das Blut abzuspülen, und kehrten dann an ihre Arbeit zurück. Dagón blieb allein zurück. Die ersten Sonnenstrahlen vergoldeten die Wasseroberfläche.
Jeden Abend – es war die einzige Zeit des Tages, da Munárriz mit Mabel zusammen war – deckte sie ihn mit Fragen über den Stand seiner Ermittlungen ein. Mittlerweile kreisten ihre Gespräche beim Abendessen nahezu ausschließlich um die Umstände von Begoña Ayllóns Tod. Auch wenn sich Munárriz bemühte, keine Einzelheiten preiszugeben, konnte er nicht gut allen Fragen ausweichen. Bisher hatte er nichts vorzuweisen als das Wenige, was er bei seinem Kurzbesuch in Soria von Hochwürden Ramírez erfahren hatte, sowie einen Schlüssel, der nach Chicho Corbachos Ansicht zu nichts nutze war.
Morgens stand Mabel früh auf, joggte um den Platz herum, um für den Tag Energie zu tanken, duschte, machte Frühstück und ging zur Arbeit. Sie beschäftigte sich intensiv mit ihrer Reportage über »namenlose Tote« und brachte den größten Teil des Tages damit zu, Angehörige spurlos Verschwundener zu besuchen, sich im städtischen Leichenschauhaus umzusehen und Gespräche mit Mitgliedern von Hilfsorganisationen zu führen, die sich um Einwanderer und Flüchtlinge kümmerten.
Munárriz sah angespannt auf seine Wetterstation: Ganz wie an den vorigen Tagen kündigte sie steigende Luftfeuchtigkeit und sinkenden Luftdruck an. Er schloss die Tür und machte sich auf den Weg zu seiner Dienststelle. Als ihn sein Vertreter dort sah, nahm er irrigerweise an, Munárriz habe seine Urlaubspläne aufgegeben, doch folgte dieser lediglich dem Hinweis, den ihm Chicho Corbacho gegeben hatte.
»Du kannst dich wohl nicht trennen?«, scherzte der Kollege.
»So ungefähr«, gab Munárriz zurück. »Ohne das Blubbern der Kaffeemaschine und ohne tagelang in diesem Stall eingesperrt zu sein, kann ich nun mal nicht leben.«
»Das wird ja immer schlimmer mit dir«, lachte der Mann. »Du solltest mal zum Psychiater gehen.«
»Ist der Chef nicht da?«
»Der große Zampano ist vorhin zu einer Besprechung im Ministerium für öffentliche Sicherheit aufgebrochen. Er kommt erst morgen wieder ins Büro.«
»Gibt es Ärger?«
»Das ist doch unser tägliches Brot«, gab der Kollege zurück. »Die Übergriffe gegen Privateigentum haben deutlich zugenommen, in erster Linie Überfälle auf die Bewohner frei stehender Häuser. Deshalb hat die Regierung der autonomen Region Katalonien das Innenministerium zur Kooperation aufgefordert, damit den Banden das
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